Bei der Ampel spricht der Beamte von der Lichtzeichenanlage, will er jemanden anrufen, sucht er ein fernmündliches Gespräch. Vielleicht findet er es dann auch. Und schreibt er einen Brief, wird es komplett unverständlich. Beamtendeutsch -wir alle kennen es, wir alle hassen es. Und kaum einer versteht es. Warum aber wird es dann überhaupt benutzt?
Wenn die Polizei an die Türe des Nachbarn klopft, um ein „Sensibilierungsgespräch über die Inbetriebnahme von Tonabspielgeräten“ zu führen, spricht der Volksmund schlicht und einfach von „Ruhestörung“. Aber warum sich mit einem einzelnen Wort begnügen, wenn es doch auch kompliziert geht?
Als Beamtendeutsch bezeichnet man eine sehr förmliche, eiskalt-distanzierte und antiquierte Ausdrucksweise, wie sie häufig im Schriftverkehr von Behörden und Verwaltungen, aber erstaunlicherweise auch noch in vielen Privatfirmen verwendet wird, die bloss nicht den Eindruck erwecken möchten, bei ihnen würden Menschen statt seelenloser Zombies arbeiten. Der Duden verwendet zur Kennzeichnung von Verwaltungssprache den Ausdruck Papierdeutsch.
Im Beamtendeutsch spiegelt sich unsere preussisch-militärische Vergangenheit, die eigentlich nur zwei Sorten von Bürgern kannte: Befehlsempfänger und befehlende. Und als letztere sahen sich die Behörden damals auch. Heute hat sich diese Sichtweise geändert. Und das ist gut so, sind wir es doch, die die Gehälter unserer eifrigen Beamten von unseren Steuergeldern bezahlen. Von einem „freundlichen, Kundenorientierten“ Umgang ist heute die Rede. Allerdings scheint das der eine oder andere Beamte verschlafen zu haben.
Woran erkennt man Beamtendeutsch?
Wann immer man beim Lesen eines Schriftstücks das Gefühl hat, zurück in Kaiser Wilhelms Zeiten teleportiert worden zu sein und vor dem geistigen Auge Pickelhauben und auf Hochglanz polierte Uniformknöpfe erscheinen, hast man es sehr wahscheinlich mit Beamtendeutsch erster Güte zu tun. Doch was sind eigentlich die Merkmale dieser Sprache?
Der kompakte und auf vermeintliche Genauigkeit bedachte Stil des Beamtendeutsch dient dazu, einen Text als objektiv und unangreifbar erscheinen zu lassen. Begriffe aus Gesetzen und Verordnungen werden zu diesem Zweck oft unverändert übernommen, obwohl sie in der Alltagssprache gar nicht vorkommen. Technisch gesehen handelt es sich bei der Beamtensprache um einen Soziolekt, also eine Gruppensprache, die nur von vermeintlich eingeweihten gesprochen wird, wie z.B. die Rechtssprache. Heute würde man „Gang Slang“ dazu sagen.
Ein Merkmal des Beamtendeutsch sind gruselige, grammatikalische Konstruktionen mit überlangen und oft verschachtelten Sätzen (sogenannte Bandwurmsätze). An manchen Behörden soll es interne Wettbewerbe geben, wer es schafft, den längsten Schachtelsatz oder das Wort mit den meisten Silben zu erfinden. So entstand wahrscheinlich auch das fast schon poetisch anmutende Wort Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz, das 1999 von der Gesellschaft für deutsche Sprache sogar zum Wort des Jahres vorgeschlagen wurde.
Um ein Haar hätte es das von 1992 bis 1996 im Guinness Buch der Rekorde als längstes Wort geführte DonaudampfschiffahrtselektrizitätenÂhauptbetriebswerkÂbauunterbeamtenÂgesellschaft abgelöst, deren Existenz aber eh fraglich war. Egal, denn im Dezember 2003 wurde durch die im November 2007 wieder aufgehobene GrundstücksÂverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsÂverordnung (GrundVZÃœV, 67 Buchstaben) ein neuer Rekord aufgestellt, der seinen Gewinn allerdings dem Bestandteil „Verordnung“ zu verdanken hatte.
Weiteres Beamtendeutsch-Merkmal: Arschkriecherfloskeln.
Ein weiteres Merkmal des Beamten- bzw. Papierdeutsch ist der überaus starke Gebrauch von schleimigen Floskeln, auch Arschkriecherei genannt: „ergebenst“, „mit vorzüglicher Hochachtung“ usw. Der Gebrauch dieser Arschkriecherfloskeln ist allerdings bereits in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts deutlich zurückgegangen.
Grammatikalisch gesehen ist für die Beamtensprache vor allem kennzeichnend, dass Substantive vor aktiven Verben bevorzugt werden (Nominalstil). Hierzu werden Tätigkeiten substantiviert („zur Anzeige bringen“ statt „anzeigen“) oder adjektiviert, also in Eigenschaftswörtern ausgedrückt. Häufig wird Passiv statt Aktiv verwendet. Dadurch kann man oft nur noch aus dem Zusammenhang erkennen, wer die handelnde Person ist. Ferner werden häufig Substantivketten („Antrag auf Aufhebung des Bescheides des Ordnungsamtes über die Beseitigung …“) und mehrgliedrige Substantive („Leistungsnachweiserbringungspflicht“) benutzt, die den Text weiter verdichten.
Zudem scheinen Beamte das sogenannte Fugen-s zu verabscheuen: aus Einkommenssteuer wird Einkommensteuer, aus einem Offiziersanwärter wird ein Offizieranwärter und aus einem Verbandskasten wird ein schlichter Verbandkasten.
Warum spricht man Beamtendeutsch?
Wir erwähnten es schon: zum einen, um in Beamtendeutsch geschriebene Sätze als objektiv und unangreifbar erscheinen zu lassen. Zum anderen aber auch, weil sie nur so auch juristisch haltbar sind. Was aber soll man von einer Justiz halten, die es nicht einmal schafft, Gesetze so zu formulieren, das sie auch jene verstehen, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach übertreten werden?
Einen Justizdeutsch sprechenden Anwalt konsultiert man schliesslich meist erst, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, nicht vorher. Ein weiterer Grund, warum Beamte das Papierdeutsch so innig lieben, wie das einfache Volk den Groschenporno, ist wohl, das man seine eigene Persönlichkeit hinter diesem Zombie-Deutsch so gut verstecken kann -wenn man denn eine hat.
Kampf dem Kaiser-Wilhelm-Deutsch!
Die Bürger müssen sich öfter beschweren.
Beamtensprache ist, wer hätte das gedacht, meist unverständlich und macht den Behördentext für durchschnittliche Leser intransparent. Sie entspricht daher nicht der Forderung nach einer kundenorientierten Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern. Im Jahr 2000 entschied deshalb die Stadtverwaltung von Bochum, Behördenbriefe zukünftig in einer bürgerfreundlichen Sprache zu verfassen. Eine Gruppe von Germanisten der Ruhr-Universität Bochum hilft allen deutschen Gemeindeverwaltungen, Amtstexte so zu gestalten, dass sie für Bürger leichter verständlich sind und besser akzeptiert werden. Auch das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer forscht und berät zu verständlicher Verwaltungssprache.
An der Brandenburgischen Landesakademie für öffentliche Verwaltung gibt es mittlerweile Seminare für Beamte mit dem Titel „Amtsdeutsch vermeiden – verständlich formulieren“. Bundesweit gibt es dazu mittlerweile zahlreiche Initiativen, auch die Bundesregierung hat das Problem erkannt. Seit 2009 gibt es im Justizministerium und im Bundestag sogenannte Redaktionsstäbe. Sie sollen dabei helfen, Gesetze verständlicher zu formulieren.
Allein der politische Wille fehlt häufig. Die Bürger müssten sich öfter beschweren. In Skandinavien, der Schweiz oder den Niederlanden ist man hier inzwischen viel weiter.
Wie gut ist dein Beamtendeutsch? Finde es heraus im grossen Beamtendeutsch-Quiz auf der nächsten Seite und erhalte einen unentgeltlichen Lesitungserbringungsnachweis!
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O.k., alles schön. Jedoch: Leider vermisse ich im Text die Antwort auf die selbst in der Überschrift gestellte Frage des Artikels.
Woher stammt sie denn nun??? MERCI für eine weiterführende Antwort.
Schönen Gruss,
Karin
Hallo Karin, eigentlich geht das doch aus dem Artikel hervor:
"Im Beamtendeutsch spiegelt sich unsere preussisch-militärische Vergangenheit, die eigentlich nur zwei Sorten von Bürgern kannte: Befehlsempfänger und befehlende. Und als letztere sahen sich die Behörden damals auch. "
Im Beamtendeutsch spiegelt sich also unsere preussische Vergangenheit, in der es streng hierarchisch zuging und ein militärisch-gestelzter Befehlston Standard war.
Eigentlich ist Beamtendeutsch die menschliche Entsprechung des "auf die Brust Klopfens" unserer Primatenvorfahren. Und nichts anderes waren im preussischen Reich auch die ganzen Orden und Uniformen.
Das alles soll einfach nur sagen "Ich Chef, du nix".