Europäer glauben gerne, das Küssen etwas völlig selbstverständliches ist. Tatsächlich wird aber nur in den wenigsten Ländern der Welt auf den Mund geküsst. Eine neue Studie verrät, wo am liebsten geküsst wird. Das Ergebnis überrascht.
Dieser Artikel ist nichts für Speichelromantiker -er könnte ihr Weltbild ins Wanken bringen. Als Europäer meint man schliesslich gerne, der romantische Kuss gehöre zur Liebe, wie das Amen in der Kirche. Und das Menschen auf der ganzen Welt sich ebenso gerne küssen. Schliesslich sind wir so aufgewachsen und vielleicht nicht alle, aber viele, empfinden das Küssen immerhin als angenehm.
Allerdings: in den meisten Kulturen der Welt meiden die Menschen es, ihre Lippen auf die eines anderen Menschen zu legen. Das haben Forscher am Kinsey-Institut für Sexualforschung in Indiana, USA unter der Leitung von Justin Garcia herausgefunden. “Der romantisch-sexuelle Kuss ist nicht mal annähernd universell verbreitet”, schreiben Garcia und seine Kollegen.
Mit “romantisch-sexuell” definieren die Forscher alle Küsse, bei denen es zu einem “Lippen-auf-Lippen-Kontakt” kommt, der lange anhalten oder auch nur kurz dauern kann. Küsse auf die Wange, die Stirn oder andere Körperteile zählten für die Auswertung nicht, die Garcia und die anderen vorgelegt haben.
Sie wollten nur wissen: Wer küsst sich auf den Mund?
Forscher sammeln Daten aus 168 Kulturen
In Afrika und Mittelamerika küsst man sich kaum bis gar nicht. Im Nahen Osten dagegen am meisten.
Die Forscher durchsuchten Datenbanken, wälzten ethnologische Studien, kontaktierten Kollegen, die Menschen in aller Welt beobachtet hatten. In Urwäldern, Wüsten, Städten. Hatten die Forscher dort gesehen, wie Menschen ihre Lippen aufeinander legten, oder davon gehört, dass sich Leute küssten? Oder hatten die Menschen mit Ekel auf diese Vorstellung reagiert?
Sie erhielten so nach und nach Daten aus 168 Kulturen. Von den Maya in Mittelamerika, den Wanano im Amazonasgebiet, den Turkana in Kenia. In 77 dieser Kulturen küssen sich die Menschen. In 91 dieser Kulturen küssen sie sich nicht. Die Datenlage ist also klar: in 54% der untersuchten Länder küsst man sich nicht. Lediglich in 46% der Länder kennt man den Kuss auf den Mund.
Die kussfreudigste Region der Welt ist der Nahe Osten. In allen zehn Kulturen, zu denen die Forscher Kussdaten fanden, küssen sich die Leute. Unterhalb der Sahara sinkt die Zahl der Küsser rasant. In diesem Teil Afrikas ist das Küssen in gerade mal vier von 31 Kulturen (nur ca. 13%), verbreitet. In Mittelamerika küssen sich die Menschen, die in traditionellen Kulturen leben, gar nicht. Jedenfalls fanden die Forscher unter zehn beobachteten Völkern kein einziges, in dem Lippen auf Lippen gelegt werden.
Selbst in Nordamerika ist Küssen nur in etwas über der Hälfte aller Kulturen üblich. Dort küssen sich Menschen in 18 Kulturen, in 15 aber lassen sie es bleiben. In Asien scheint man sich dagegen gerne zu küssen: dort wird in 27 Kulturen geknutscht, denen nur zehn nicht küssende gegenüberstehen. In Europa sind die Küsser klar in der Mehrheit: in sieben von zehn beobachteten Kulturen knutschen die Menschen.
Das überraschende Fazit der Studie: Küssen ist nicht universeller Bestandteil der menschlichen Kultur.
Auch wenn in unserer Kultur so gut wie kein Film oder Roman ohne den romantischen Kuss auskommt, kennt die Mehrheit der Menschen dieses Ritual gar nicht -oder wendet es aufgrund von hygienischen oder kulturellen Vorbehalten nicht an. Möglich wäre sogar, das der Kuss erst durch unsere Film- und Romankultur wirklich populär geworden ist und man ihm vorher gar keine allzu grosse Beachtung schenkte.
Geküsst wird erst seit sich die Mundhygiene verbessert hat
Das Bild vom Kuss, der zu Liebe und Sex gehört, sei ein westlich geprägtes Bild, schreiben die Forscher. Der Kuss sei ein Ritual, das vermutlich kulturellen Mustern folge und keine biologische Notwendigkeit -obwohl er, biologisch gesehen, die Ausschüttung von Bindungshormonen (Oxytocin) anregt.Möglicherweise, schreiben die Forscher, sei der Kuss als Vorspiel oder Mittel der Partnerbindung in Teilen der Welt überhaupt erst in Mode gekommen, als die Menschen etwas anderes im Griff hatten: ihre Mundhygiene.
Und das ist ziemlich nachvollziehbar -Küssen ist ein Hauptübertragungsfaktor für Zahnkrankheiten wie z.B. Karies, das klassische “Loch im Zahn”, oder Zahnfleischentzündungen. Die Möglichkeit, sich bei einem Kuss mit schädlichen Bakterien und Keimen anzustecken, ist hundertmal höher, als beim Trinken aus einem ungewaschenen Glas in einem Restaurant.
Ebenso wissen sicher nur die wenigsten (und irgendwie will man es auch gar nicht wissen), das der menschliche Speichel in der Regel mit mehr Keimen verseucht ist, als Hundespeichel (das hat übrigens Mike Rowe in einem Selbstversuch für eine Doku des Senders Animal Planet herausgefunden -wobei es hier allerdings nur um die Anzahl der Keime ging, nicht um deren spezifische Art).
Selbst wer noch nie Probleme mit seiner Zahngesundheit hatte, kann sich schnell beim Zahnarzt wiederfinden -wenn er den falschen Partner küsst. Denn sind Keime, die die eigene Mundflora nicht in den Griff bekommen kann, einmal übertragen, wird man sie oft ein Leben lang nicht mehr los. Der Speichel- und Keimaustausch mit der Mundflora eines anderen Menschen ändert auch die eigene Mundflora dauerhaft und hinterlässt einen bakteriellen Fingerabdruck des Kusspartners. Deshalb sollte man sich vor dem Küssen auf jeden Fall davon überzeugen, wie es der andere mit der Mundhygiene hält.
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