Das Jahr 2020 wird vielen noch lange in Erinnerung bleiben. Es gleicht einem ewigen Sonntag. Seit der Großen Pest hat dieser Planet keinen derartigen, globalen Stillstand mehr erlebt. Doch: was für viele Menschen einer Katastrophe gleichkommt, ist für den geschundenen Planeten eine kurze Pause des Aufatmens.
Beim Ausstoß klimaschädlicher Gase hat die Menschheit auch 2019 wieder alle negativen Rekorde gebrochen: Fast 37 Gigatonnen waren es, so viel wie noch nie. Bevor das Virus die Welt stillstehen ließ, gab es keine Anzeichen dafür, dass wir die Erderwärmung in diesem Jahr verlangsamen würden.
Doch 2020 ist plötzlich alles anders – die Erde steht quasi stil. Nicht nur für Klimaaktivisten, sondern vor allem auch Teile der Tierwelt ist Corona wie Ostern und Weihnachten zusammen. Denn wo das menschliche Leben weitgehend brachliegt, zieht tierisches Leben ein. So tummeln sich in Spaniens Hauptstadt Madrid Wildschweine im sonst hektischen Zentrum. Das jetzt klare Wasser in Venedigs Kanälen lockt Fische zurück in die Lagunenstadt. Im Hafen des italienischen Triest ist der Schiffsverkehr weitgehend eingestellt. Nun tauchen hier Delfine auf. New York’s Times Square ist so menschenleer, wie man es bisher nur in Filmen wie “I am legend” sehen konnte.
In China, das mehr zur globalen Erwärmung beiträgt als jedes andere Land, seien die Treibhausgasemissionen im Februar um sagenhafte 25 Prozent zurückgegangen, berichten Analysten vom finnischen Centre for Research on Energy and Clean Air. Auch die Luftqualität sei in vielen Städten nicht mehr ganz so miserabel wie sonst, da die Chinesen deutlich weniger Kohle verfeuerten und weniger reisten. Nach einer aktuellen Schätzung hat sich damit der Ausstoß der klimaschädlichen Gase allein in den ersten Wochen nach dem Ausbruch der Krankheit in China um etwa 200 Millionen Tonnen CO2 reduziert – so viel, wie das G20-Land Argentinien in einem Jahr ausstößt.
So fiel der Kohleverbrauch von Kraftwerken um 36 Prozent, der Umsatz von Kohle im größten Hafen um 29 Prozent, Ölraffinerien arbeiteten 34 Prozent weniger, und die Schadstoffbelastung durch Flüge sank um 37 Prozent. „Das hat wahrscheinlich ein Viertel der CO2-Emissionen des Landes verhindert“, berichten Experten.
Aber nicht nur die CO2 Emissionen sind stark zurückgegangen, sondern auch die Stickoxide. Diese werden ebenfalls bei Verbrennung fossiler Brennstoffe in die Atmosphäre überführt. Nach Angaben der NASA ist die Konzentration dieser Spurengase global um etwa 30 % zurückgegangen nach dem Ausbruch des Corona Virus. Anders als beim CO2 hat speziell Stickstoffdioxid (NO2) besonders starke Auswirkungen auf die Luftqualität vor Ort. Bei einer sogenannten Inversionswetterlage, indem ein geringer Austausch der Luft herrscht, ist N02 besonders wirksam und kann zu Smog führen. Bleibt es weiterhin bei dieser geringen Konzentration, so könnte sich die Sterblichkeit aufgrund schlechter Luftqualität stark reduzieren.
Aber auch das Leben der Menschen hat sich vielerorts radikal geändert: auf Mallorca, wo man sich in den letzten Jahren fast gänzlich von den Saufgelagen und Orgien der Touristen abhängig gemacht hat, ist diese Ressource nun weggebrochen. Stattdessen sind wieder Ruhe und Sauberkeit auf der Insel eingekehrt. Das Wasser ist so klar, wie lange nicht, die Strände sauber und gepflegt.
Durch das Ausbleiben der Gäste und Dauersäufer haben etliche Angestellte ihre Jobs in der Tourismusbranche verloren oder aufgegeben. Viele von ihnen haben sich mittlerweile umorientiert und arbeiten beispielsweise als Helfer in der heimischen Landwirtschaft, pflücken nun in der kühlen Morgenfrische Pfirsiche wie zu Grossmutters Zeiten, statt nächtliche Sauforgien zu organisieren.
Nur ein kurzfristiger Effekt?
So scheint auf einmal möglich, was vor Kurzem kaum realistisch schien.
Der weltweite Flugverkehr ist im Vergleich zum Vorjahr um sagenhafte 90% Prozent zurückgegangen. Kreuzfahrtschiffe fahren nicht mehr (ein Kreuzfahrtschiff stösst pro Tag so viel CO2 aus wie fast 84.000 Autos, so viel Stickoxide wie etwa 421.00 Autos, so viel Feinstaub wie etwa über 1 Million Autos und so viel Schwefeldioxid wie gut 376 Millionen Autos).
Noch relevanter fürs Klima ist die Prognose der Internationalen Energieagentur und der OPEC-Staaten, dass die globale Nachfrage nach Erdöl im laufenden Jahr um bis zu 0,7 Prozent schrumpfen könnte. Eine neue Studie der Denkfabrik Agora Energiewende rechnet aus, dass Deutschland sein Klimaziel 2020 erreichen wird, nämlich 40 Prozent weniger CO2 auszustoßen als 1990. Bis vor wenigen Monaten noch undenkbar.
So scheint auf einmal möglich, was vor Kurzem kaum realistisch schien: dass die weltweiten Treibhausgasemissionen sinken könnten. Es wäre das erste Mal seit der Wirtschaftskrise von 2008, als in den USA das Bruttoinlandsprodukt um 4,3 Prozent schrumpfte, der Anteil der Arbeitslosen sich verdoppelte, Immobilienpreise und Aktienmarkt kollabierten. Auch damals sanken die globalen Emissionen – allerdings nur um 450 Millionen Tonnen oder 1,4 Prozent, und auch nur vorübergehend. Dann sorgten wir alle mit vereinten Kräften dafür, dass sie wieder drastisch anstiegen.
Welche Folgen der momentane Einbruch in China für das Weltklima hat, hängt von vielen Faktoren ab. Wie lange dauert der Ausfall der CO2-intensiven Wirtschaft? Welche Länder und Branchen werden betroffen sein – und wie lange? Und wie sehr werden die Ausfälle später kompensiert, wenn extra große CO2-intensive Projekte begonnen werden?
Somit wird dem Planeten durch ein unerwünschtes Phänomen eine kleine Verschnaufpause gewährt, wenn auch nur von kurzer Dauer, da die Produktion nach der Krise schnellstmöglich wieder anlaufen wird. Somit dürften sich die Emissionen klima- und umweltschädlicher Gase auf das altbekannte Niveau wieder einpendeln und die Schüler freitags wieder auf den Plätzen stehen.
Quellen: Taz, BR, ARD. euractiv