Gesellschaftskritik

Corona: Wurde die Pandemie vorhergesagt?

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Steven Soderbergh’s Film „Contagion“ aus dem Jahr 2011 beschrieb bereits den Ausbruch und Verlauf einer tödlichen Viren-Pandemie. Was viele aber nicht wissen: kurz danach gab die Bundesregierung eine Studie in Auftrag, die die Auswirkungen einer Pandemie für Deutschland bereits damals bis ins Detail beschrieb und die sich nun fast 1:1 mit den tatsächlichen Ereignissen deckt.

Bundestagsdrucksache 17/12051

In Deutschland hat das Vorsorgeprinzip versagt. Warnungen wurden missachtet, die Bevölkerung hingehalten. Dabei hätte die Bundesregierung eigentlich vorbereitet sein müssen. Unter dem Namen „Bundestagsdrucksache 17/12051“ gab es sogar längst ein ausführliches Dokument zur Risikoanalyse im Fall einer Pandemie, und das bereits seit 2012. Es handelt sich hierbei um eine ressortübergreifende Risikoabschätzung, erstellt und publiziert u.a. vom Robert-Koch-Institut als Unterrichtung durch die Bundesregierung.

Ab der Seite 57 des Berichts wird das Szenario eines „außergewöhnlichen Seuchengeschehens“ durch einen fiktiven Erreger namens „Modi SARS“ durchgespielt. Die schützenswerten Güter werden kategorisiert und nacheinander aufgeführt: Mensch, Umwelt, Volkswirtschaft und sog. immaterielle Güter – dazu zählen Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung, politische Auswirkungen, psychologische Auswirkungen und die Schädigung von Kulturgut.

Die Studie beschreibt ein Szenario, das so ziemlich alles durchgespielt, was wir in diesen Tagen erleben: Anti-epidemische Maßnahmen, phasenorientierte Handlungsempfehlungen, Krisenkommunikation, behördliche Maßnahmen, Abschätzung der Auswirkungen auf die genannten Schutzgüter, Verfolgung der Entwicklung der Ausbreitung und der Zahl der Neuerkrankungen etc. etc.

Sie liest sich tatsächlich wie ein Vorgriff auf die gegenwärtige Krise. Unwillkürlich fragt man sich, weshalb auf dieses Planspiel in Phase I der Coronakrise nicht zurückgegriffen wurde. Man wusste auf Basis amtlicher Aussagen von 2012 definitiv, was ein Ausbruch wie der jetzt eingetretene bedeutet und welche Auswirkungen es auf unser Gesundheitssystem haben würde.

„Geheimplan“ oder prophetische Vorhersage?

Viele Details der Studie decken sich fast schon unheimlich mit den derzeitigen realen Ereignissen: so beginnt die fiktive „Modi SARS“-Pandemie der Studie im Februar in Asien, wird dort allerdings erst einige Wochen später in seiner Dimension/Bedeutung erkannt. Im April tritt dann der erste identifizierte Modi-SARS-Fall in Deutschland auf. Dieser Zeitpunkt bildet den Ausgangspunkt des in der Studie vorliegenden Szenarios.

Auszug aus der Studie:

Der Erreger stammt aus Südostasien, wo der bei Wildtieren vorkommende Erreger über Märkte auf den Menschen übertragen wurde. Da die Tiere selbst nicht erkranken, war nicht erkennbar, dass eine Infektionsgefahr bestand. Durch diese zoonotische Übertragung in Gang gesetzte Infektketten konnten nur retrospektiv nachvollzogen werden; dies gelang nicht in allen Fällen.

Heimische Haus- und Nutztiere sind durch Modi-SARS nicht infizierbar und tragen daher nicht zur Verbreitung oder Aufrechterhaltung der Infektionskette bei. Zwei der ersten Fälle, die nach Deutschland eingeschleppt werden, betreffen Personen, die sich im selben südostasiatischen Land angesteckt haben. Eine der Personen fliegt noch am selben Abend nach Deutschland, um bei einer Messe in einer norddeutschen Großstadt einen Stand zu betreuen, die andere Person fliegt einen Tag später nach Deutschland zurück, um nach einem Auslandssemester in China ihr Studium in einer süddeutschen Universitätsstadt wieder aufzunehmen.

Diese beiden Personen sind in Deutschland zwei der Indexpatienten, durch die die Infektion weiter verbreitet wird.3 Sie sind von besonderem Interesse, weil beide Personen mit außerordentlich vielen Menschen in Kontakt kommen und so stark zur initialen Verbreitung beitragen. Es gibt weitere Fälle, die nach Deutschland importiert werden, so dass man von insgesamt zehn infizierten Personen ausgeht, auf die die erste Infektionswelle zurückzuführen ist.

Diese, fast schon propehtisch anmutende, Vorhersage sorgt bei einigen Verschwörungstheoretikern im Netz, die nun über zu viel Freizeit verfügen, natürlich für wilde Spekulationen. Von einem „Geheimplan der Regierung“ ist die Rede. Nur: welcher „Geheimplan“? Diese Studie war die gesamten letzten Jahre (und ist es immer noch) völlig frei zugänglich und kann von jedem heruntergeladen und gelesen werden. Von „geheim“ kann also keine Rede sein. Die Frage, warum die Regierung dennoch nicht wirklich auf die Corona-Pandemie vorbereitet war, stellt sich allerdings dennoch – und nun erst recht.

JEDE Pandemie ist schwerwiegend

Die Studie von 2012 geht von einem Erreger aus, der mit dem Corona-Virus vergleichbar ist. So wird dort auch von einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen und einer relativ hohen Letalität bei über 65-jährigen ausgegangen, während die Sterblichkeitsrate von Kindern und Jugendlichen lediglich auf 1% angesetzt wird.

Die Ähnlichkeiten zwischen dieser Studie von 2012 und der jetzigen Pandemie sind also durchaus frappierend. Um so besorgniserregender ist, zu welcher Schadens-Einschätzung die Forscher gelangen:

Die Eintrittswahrscheinlichkeit der in der Studie beschriebene Pandemie durch den fiktiven Modi-SARS Erreger wird dort als „Klasse C“ eingestuft – also ein Ereignis, das statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt.

Die Schadensparameter M1 bis M3 (Tote, verletzte, hilfsbedürftige) sind hier allesamt im roten Bereich, also der höchsten Schadensklasse E. Schädigungen der Umwelt oder des Grundwassers sind durch eine Pandemie nicht zu befürchten, allerdings ein Verlust an Nutztieren, da sich viele Menschen aufgrund ihrer Erkrankung oder durch finanzielle Einbrüche nicht mehr um diese kümmern oder sie versorgen können.

Als höchst schwerwiegend (Klasse E) stuft die Studie allerdings den Schaden auf die Volkswirtschaft ein. Dies betrifft sowohl die Auswirkungen auf die öffentliche Hand, die Privatwirtschaft, als auch private Haushalte. Die Auswirkung auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Folge einer Pandemie wird als „hoch“ eingestuft (Klasse D), die politischen und psychologischen Auswirkungen als sehr hoch (Klasse E).

Ein beklemmendes Szenario

Die Infektion wird sich, zumindest laut Studie, in einer ersten großen Welle und danach in zwei weiteren, nachfolgenden Schüben ausbreiten – über einen Gesamtzeitraum von 1052 Tagen. Bis dahin werden fast 80 Millionen Menschen in Deutschland erkranken (die Anzahl der „nur“ infizierten liegt dabei noch deutlich höher) und 7.5 Millionen Tote zu beklagen sein. In der Studie wird dabei allerdings eine Sterberate von 10% der Erkrankten zugrunde gelegt – also höher, als derzeit beim Corona-Virus beobachtet wird.

Allerdings geht das vorgestellte Szenario geht davon aus, dass schon früh im Verlauf antiepidemische Maßnahmen eingeleitet werden, die dazu führen, dass jeder Infizierte im Durchschnitt nicht drei, sondern 1,6 Personen infiziert. Die Gegenmaßnahmen werden nur für den Zeitraum von Tag 48 bis Tag 408 angenommen.

Würde man davon ausgehen, dass keinerlei Gegenmaßnahmen eingesetzt werden und jeder Infizierte drei weitere Personen infiziert (bis der Impfstoff zur Verfügung steht), so hätte man mit einem noch drastischeren Verlauf zu rechnen. Zum einen wären die absolute Anzahl der Betroffenen höher, zum anderen wäre der Verlauf auch wesentlich schneller. Während im vorgestellten Modell der Scheitelpunkt der ersten Welle nach rund 300 Tagen erreicht ist, wäre dies ohne antiepidemische Maßnahmen schon nach rund 170 Tagen der Fall.

Die momentanen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie (und auch deren Einhaltung!) machen also nicht nur Sinn, sondern sind zwingend nötig. Allerdings muss hier auch der Schaden auf die Wirtschaft abgewogen werden, der laut Studie beträchtlich sein wird.

Hoffen wir, das unsere Regierung solche Studien zukünftig ernster nimmt, und vielleicht auch mal in ihren Schubladen nachsieht, ob sich dort nicht auch noch weitere interessante Studien finden lassen, die das Eintreten bestimmter Szenarien vorhersagen, bei denen nicht die Frage ist, ob sie eintreten – sondern wann.

Aber: die Tagline des Films „Contagion“ heißt nicht umsonst: „Nichts verbreitet sich schneller, als Angst“. Also: Ruhe bewahren und sich besonnen verhalten. Pandemien und Seuchen gab es schon immer und wird es immer geben. In einer komplexen, dichten und globalen Gesellschaft wie der unseren verbreiten sie sich nur um ein Vielfaches schneller, als vor Jahrhunderten.

Bleibt allerdings eine berechtigte Frage: wenn der Bundesregierung bereits seit Jahren ein wissenschaftlicher Bericht vorlag, der sich nun fast 1:1 mit den tatsächlichen Gegebenheiten deckt – weshalb wurden in dieser Zeit nicht die Kapazitäten des Gesundheitssystems aufgestockt? Sieben Jahre sind viel Zeit. Sehr viel mehr Zeit, als wir jetzt zur Verfügung haben.

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Neueste Kommentare

  1. Nun, es wurde nicht nur vorhergesagt, sondern im "Event 201", abgehalten in New York im Herbst 2019, sogar noch vor "Ausbruch" bereits durchgespielt. Finanziert von … aber einfach selbst schauen. Finanziert von ?

    Nur Fakten, nicht mehr.

  2. Mike-vom-Mars

    Natürlich wird eine Pandemie vor Ausbruch durchgespielt. Das nennt sich "Katastrophenschutzübung" – genau deshalb hatte die Regierung ja auch die Risikoeinschätzung beim RKI 2011 in Auftrag gegeben. Genau so, wie viele andere Länder auch, die den Schutz ihrer Bevölkerung ernst nehmen.

  3. Alle Ereignisse haben eine Vorgeschichte, wir sehen sie nur leider oft nicht.

    In Deutschland wurde der Katastrophenschutz über Jahrzehnte vernachlässigt, kaputt gespart und demontiert. Da wird heute eine Ministerin Faeser schon fast zur Cassandra.

    Katastrophenschutz fand und findet leider immer noch fast ausschließlich als Privatvergnügen für Ehrenamtliche und Idealisten statt, die ihre Freizeit und ihr Privatvermögen dafür ausgeben und von ignoranten Egomanen dafür beschimpft und beleidigt werden.
    Die Medien sind meines Erachtens mindestens ebenso schuldig daran, weil es ihnen nur noch im Quote geht.

    So etwas wie Corona gab es schon früher immer wieder mal und wird es auch weiterhin geben, da muss man kein Prophet sein. Neue Krankheiten treten auf, weil auch Viren und Bakterien sich weiterentwickeln, um mit einer veränderten Umwelt klarzukommen.
    Sicher, die Rahmenbedingungen sind heute andere, aber ich erinnere mal an AIDS, Spanische Grippe, die Pest, nur um einige zu nennen. Erst die Erkenntnisse der Vorgeschichte und der Rahmenbedingungen ermöglicht eine Behandlung der Krankheit und damit Bewältigung der Katastrophe.

    Wichtiger ist, dass wir mit dem Ereignis klar kommen, und zwar finanziell ebenso wie mental.
    Darum gehe ich jetzt sicher nicht in meinen nicht vorhandenen Prepperbunker und packe meinen BugOutBag zur Evaluierung auf die Venus oder den Mars.
    Aber ein bisschen Vorsorge mit einem gesunden Menschenverstand schadet bestimmt nicht.

    Prophezeiungen von Katastrophen jeglicher Art sind nur dann schrecklich, wenn wir so ahnungslos vor uns hin leben und nicht die Augen aufmachen für unsere Umgebung und unsere Umwelt.
    Machen wir doch mit unserem Wissen das Beste daraus.

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