Marsch ins Ungewisse
„Der nächste Außenposten der Zivilisation ist rund 1.500 Kilometer entfernt.“
Kapitän Francis Crozier hat jetzt das Kommando übernommen. Er gilt als erfahrener Seeman, der bereits an einigen Arktis-Expeditionen teilgenommen hatte, doch geleitet hatte er sie noch nie. Wie aus einer weiteren Notiz hervorgeht, trifft er eine folgenschwere Entscheidung. Am 22.April 1848 ordnet Corzier an, die Schiffe zu verlassen, mit 105 Überlebenden der Mannschaft, zu Fuß Richtung Süden. Der nächste Außenposten der Zivilisation ist rund 1.500 Kilometer entfernt.
Die spärlichen Notizen, die die Mannschaft hinterließ, lassen viel zu viele Fragen offen: woran sind die Männer gestorben? Wo sind die Logbücher des Schiffs? Die Angaben über die Mannschaft? Wo sind all die privaten Briefe in die Heimat, die sie in den langen Wintern bestimmt geschrieben haben? Was hat sie dazu gebracht, die Sicherheit ihrer Schiffe zu verlassen und sie aufzugeben? Gingen sie von Bord, weil sie alle krank waren? Sie konnten noch nicht alle Vorräte aufgebraucht haben – oder doch? Heutige Forscher stehen vor all diesen Rätseln. Und jedesmal, wenn sie einen neuen Hinweis finden, wir es nur noch rätselhafter.
Ohne die Schiffe sind sie den Gewalten der Natur schutzlos ausgeliefert. Wenn sie Halt machen, sterben sie. Immer wieder raffen sie sich auf, um weiter zu marschieren, Richtung Süden. Die Beiboote ziehen sie hinter sich her.
Im Süden der King William Insel, eine der abgelegendsten Gemeinden Kanadas, leben zu jener Zeit einige wenige Inuit. Als Franklins verlorene Mannschaft in der Nähe vorbei zieht, fällt ihnen der Treck verzweifelter Männer auf. Ihren Nachfahren überliefern sie Geschichten von zerlumpten, heruntergekommenen Gestalten, die sich durch das Eis schleppten. Die Suchmannschaften des 19. Jahrhunderts nehmen diese Augenzeugenberichte jedoch nicht ernst -ein Fehler. Mündlich überlieferte Geschichte ist die Wissenschaft der Inuit. Durch ihre Geschichten erfahren sie, wo sie Nahrung finden oder welche Eisbedingungen im Frühjahr herrschen. Diese mündlichen Überlieferungen mussten also sehr, sehr genau sein. Wenn nicht, konnte das den Tod bedeuten.
Die Inuit-Jäger erzählen sogar von einem direkten Zusammentreffen mit einigen Ãœberlebenden von Franklins Mannschaft. Einer der Männer sei hervor getreten und habe ihnen das Inuit-Wort für „Freund“ zugerufen. Vermutlich war es Kapitän Crozier. Durch einige seiner früheren Arktis-Reisen hatte er einige Worte der Eskimosprache Inuktitut gelernt. Er fleht sie um Nahrung für sich und seine Männer an. Doch mehr als einige Stücke Seehundfleisch können die Inuit ihnen nicht geben. Sie hungern selbst.
Franklins Männer marschieren weiter und schleppen ihre viel zu schweren Beiboote mit, die für diesen Zweck völlig ungeeignet sind – niemand hatte eingeplant, daß sich die Mannschaft über Land retten muss. Je weiter sie von ihren Schiffen entfernt waren, desto mehr leblose Körper wurden später gefunden. Am Strand, in Lagern, überall. Ein Martyrium, bei Temperaturen um die 50 Grad unter Null.
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