Gesellschaftskritik

Griechenland -Ein kollektiver Selbstbetrug

Mike vom Mars Blog EU falsche Haushaltszahlen Finanzämter geschummelt Grexit Griechenland korruption Krise Mineralölsteuer Nazi-Knopf Referendum Schulden Selbstbetrug Selbstwahrnehmung Steuern Tankstellen Tsipras Varoufakis vetternwirtschaft
 
Geschätzte Lesedauer: 11 Minuten  13.175 mal gelesen
Seite 2 / 2

Im Notfall bitte den Nazi-Knopf drücken

Die Krönung kindischen Verhaltens ist es dann, statt endlich einmal einen Hauch Selbstreflektion zu üben, die NS-Vergangenheit der deutschen Partner zu instrumentalisieren. Seid ihr wirklich so verzweifelt, das ihr auf den mittlerweile längst verstaubten Nazi-Knopf drücken müsst? Zugegeben -die meisten Deutschen tragen quasi von Geburt an einen tiefen Weltschmerz, ein Gefühl grenzenloser Schuld in sich, das dank dem richtigen TV-Programm auch noch täglich wieder aufs neue befeuert wird. An dieses Schuldgefühl zu appelieren ist nicht dumm, hat es in der Vegangenheit doch oft genug funktioniert. Aber was lässt sich eure Regierung als nächstes einfallen, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken?

Ihr habt euch auch jahrelang von den falschen Versprechungen eurer Regierung hinhalten lassen.

Liebe Griechen -euer Land hat sich damals mit gefälschten Haushaltszahlen und viel, viel kreativer Buchführung in die EU gemogelt -und muss nun die Konsequenzen tragen. Ihr könnt euch selbst belügen -aber nach aussen funktioniert diese Strategie nicht. Ihr habt euch auch jahrelang von den falschen Versprechungen eurer Regierung hinhalten lassen, endlich auch Geld von den wohlhabenden Bürgern einzufordern. Stattdessen wurde nichts getan. Man könnte annehmen, das ihr irgendwann aufwacht und die Unfähigkeit eurer eigenen Regierung erkennt (und was diese euch damit angetan hat) -aber im Gegenteil, sie schafft es immer wieder, euch mit markigen Anti-EU-Sprüchen, billigen Jahrmarkt-Tricks und Schein-Referenden zu blenden.

Eure Regierung hat euch auch nicht die Entscheidung in Form eines Referendums überlassen, um Liebe zur Demokratie zu demonstrieren -sondern weil sie in der Klemme steckt. Entweder bricht sie ihre Wahlversprechen und stimmt den verordneten Sparmassnahmen zu (und macht sich damit das Volk zum Feind, das man bisher ja immer gekonnt belügen konnte) oder sie lehnt sie ab und trägt damit die Verantwortung, wenn euer Land dadurch vollständig in den Bankrott stürzt. Das will sie aber nicht. Also überlässt sie die Verantwortung dafür euch. Per Referendum, aber natürlich nicht, ohne vorher deutlich darauf hingewiesen zu haben, für was man gefälligst stimmen sollte.

Mittels Referendum vor der Verantwortung gedrückt

Liebe Griechen, ihr habt euch wieder einmal von eurer Regierung verarschen lassen. Anders kann man es nicht sagen. Denn durch das Referendum habt ihr euren Politikern die direkte Verantwortung für alles nun folgende genommen und freiwillig auf eure eigenen Schultern gelegt. Und euch wurde das auch noch als „selbstbewusste Entscheidung des griechischen Volkes“ verkauft.

So lange ihr nicht erkennt, das das wahre Problem und die wahre Ursache dieser Krise die dilletantische Unfähigkeit eurer Regierung ist (und eure Unwilligkeit, finanzielle Verantwortung für das eigene Land zu übernehmen, indem ihr, vor allem die wohlhabenden unter euch, endlich mal eure Steuern bezahlt), wird sich daran nichts ändern und euer Land immer weiter in die Krise rutschen.

Aber wie gesagt -wir Deutsche sind ja gut darin, Selbstreflektion zu üben. Fragen wir uns also mal, ob auch wir Schuld an dieser Misere haben. Ja, haben wir. Denn jahrelang war uns Symbolpolitik wichtiger, als der Umgang mit Fakten. Unsere Politiker waren mehr darauf bedacht, was für ein fatales Bild ein Austritt Griechenlands verursachen könnte, als darüber nachzudenken, ob ein derart unzuverlässiger Partner eine wirtschaftliche Gefahr für die europäische Union darstellen könnte. Diese blosse „Symbolpolitik“ hat sie uns, den Steuerzahler, bereits viel Geld kosten lassen.

Und wo wir gerade dabei sind: was hält man wohl von der europäischen Symbolpolitik, wenn ein Grexit anscheinend unter allen Umständen vermieden werden soll, völlig ungeachtet der Tatsache, das Griechenland nichts, aber auch gar nichts tut, um seine desolate Situation in den Griff zu bekommen? Ist es dann wirklich die richtige Geste, diesem Land immer und immer wieder entgegen zu kommen? Was für ein Licht wirft das auf die Vertreter der EU? Wirtschaftlich gesehen wohl kaum ein besonders kompetentes.

Deutschland gehört noch zu den tolerantesten Partnern

Zwar gelten die Deutschen, allen voran Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, in Griechenland als die Hauptverantwortlichen für die verhasste Sparpolitik. Doch verglichen mit der Stimmung in anderen Ländern ist die deutsche Haltung noch regelrecht moderat. In jenen Staaten dagegen, die in den vergangenen Jahren harte Wirtschafts- und Sozialreformen hinter sich gebracht haben, ist spätestens seit dem Referendum jedes Verständnis für Griechenland aufgebraucht.

„Bisher hat die griechische Regierung nicht mehr getan, als ihre Wirtschaft bergab zu führen“, sagte der lettische Finanzminister Janis Reirs am Dienstag in Brüssel. Ein wenig diplomatischer, aber inhaltlich ähnlich äußerte sich der Lette Valdis Dombrovskis, für den Euro zuständiger Vizepräsident der EU-Kommission: „Wenn das Vertrauen nicht wiederhergestellt wird und es ein glaubwürdiges Reformpaket gibt, gibt es keine Lösung.“

Allein: Der neue griechische Finanzminister Euklidis Tsakalotos hat zur Überraschung seiner Kollegen in Brüssel offenbar keine neuen Vorschläge vorgelegt.

Korruption und Vetternwirtschaft

Zwei Wochen vor der Wahl kündigte Premierminister Alexis Tsipras an: „Wir vertrauen das Schicksal unseres Volkes den Fähigsten und Ehrlichsten an.“ Der Syriza-Chef versprach, endlich Schluss mit der Vetternwirtschaft in den griechischen Regierungskreisen zu machen. Drei Monate später ist das Bild ein anderes. Es gibt einen weiteren Tsipras – im Amt des Generalsekretärs für internationale Wirtschaftsbeziehungen im griechischen Außenministerium. Giorgos Tsipras ist ein Namensvetter. Und der Cousin des Premiers.

Zahlreiche Schlüsselpositionen im Staat sind ebenfalls mit Verwandten hoher Syriza-Funktionäre oder mit Parteimitgliedern besetzt worden. Neffen, Schwestern, Cousinen von Ministern der linken Regierung sind auf der Liste zu finden.

Damit die Sache nicht so sehr auffalle, hätten zahlreiche Minister und Funktionäre die Verwandten sozusagen „getauscht“, hieß es aus Kreisen der Opposition am Donnerstag. Im Kulturministerium arbeite beispielsweise als Ministerberater der Bruder der Syriza-Funktionärin Rena Dourou, die Gouverneurin der Region von Athen ist. Eine offizielle Reaktion seitens der Regierung gab es zunächst nicht.

Erst wenn es fester Bestandteil der griechischen Mentalität geworden ist, weder Korruption, noch Steuerhinterziehung oder Vetternwirtschaft zu dulden, weder beim Nachbarn, noch im Parlament, wird dieses Land wieder auf einen grünen Zweig kommen.

Und: Das griechische Volk muss endlich aufwachen und sich, statt einer kollektiven Selbsttäuschung hinzugeben, konkrete Reformen von seiner bisher recht dilletantisch agierenden Regierung fordern. Eine andere Lösung wird es nicht geben.

Seltsam? Aber so steht es hier geschrieben... Ihr habt Fragen, Anregungen oder vielleicht sogar eine völlig andere Meinung zu diesem Artikel? Dann postet einen Kommentar.

Mike vom Mars Blog - mike-vom-mars.comAutor: Mike vom Mars
Mike emigrierte vor einigen Jahren von seinem Heimatplaneten auf die Erde, um das Leben am wohl seltsamsten Ort des Universums zu studieren. Seiner Bitte "bringt mich zu eurem Führer" wurde bisher nicht entsprochen.

Alle Artikel
Diese Kategorie

 
Redaktionswertung: 4.0 / 5




Neueste Kommentare

  1. Der Grexit ist ja nunmehr vom Tisch, aber es bleibt abzuwarten, ob die Hilfspakete auch tatsächlich die richtige Entscheidung waren. Ich jedenfalls bin sehr gespannt, wie sich das gnze Thema in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt.

  2. So wie sich das Flüchtlingsdrama gerade entwickelt, tut es einem fast leid um die ganzen Milliarden, die wir nach Griechenland pumpen (und gepumpt haben). Die wären nun besser in der Versorgung und Organisation der Hilfesuchenden angelegt. Auch wenn es die Griechen gerade nicht leicht haben, sie haben wenigstens ein Dach über dem Kopf und Familienangehörige, die für sie da sind -was man von den meisten Flüchtlingen, die derzeit um Hilfe bitten, nicht behaupten kann. Die meisten von ihnen haben buchstäblich nicht mehr als das, was sie am Leib tragen. Dagegen erscheint das Wehklagen der Griechen fast schon wie Jammern auf hohem Niveau :(

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.