Gesellschaftskritik

Griechenland -Ein kollektiver Selbstbetrug

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Griechenland demonstriert momentan kollektiven Selbstbetrug und eine gestörte Selbstwahrnehmung, die an völliger Wirklichkeitsverleugnung grenzt. Von ehrlicher Reflektion ist dieses Land weit entfernt. Wie sich ein Land selbstverschuldet in die Krise stürzt -und anderen die Schuld daran gibt.

Ein seltsames Phänomen geht derzeit um die Welt: anscheinend gibt es immer mehr Menschen, die in ihrer eigenen Wirklichkeit leben und jeden Bezug zur Realität konsequent leugnen. Menschen, denen Harmoniebedürfnis um jeden Preis wichtiger ist, als eine konsequente Haltung. Das betrifft nicht nur Putinversteher (ja, Russland ist völkerrechtswidrig in der Ukraine einmarschiert und das lässt sich durch nichts, aber rein gar nichts, rechtfertigen. Ende der Diskussion, liebe Freunde der Kuschelpolitik).

Und da nun auch die Griechenversteher sich immer öfter zu Wort melden, möchte ich diesen Wirklichkeitsverdrehern die sog. „Griechenlandkrise“ einmal in einfachen Worten erklären, so das sie auch ein Kind mit einer sehr naiven Weltsicht verstehen könnte:

Liebe Griechenversteher…

Stellt euch vor, ihr lebt eine ganze Zeit lang über eure Verhältnisse und kümmert euch nicht die Bohne darum, wo das Geld herkommt. Eure Eltern (im Fall der Griechen die anderen EU Länder) werden das alles schon bezahlen. Trotz der Mahnung eurer Eltern legt ihr kein Geld beiseite und lernt auch nicht, mit eurem Geld zu haushalten. Eines Tages haben eure Eltern die Schnauze voll und drehen den Geldhahn zu. Ende mit Sause. Da ihr nun ziemlich pleite seid, müsst ihr euch von der Bank einen Kredit nehmen. Niemand sonst würde euch jetzt noch Geld geben -schliesslich war es euch bislang relativ egal, eure Schulden zurück zu zahlen.

Nun möchte die böse Bank ihr Geld aber langsam auch wieder sehen -zumindest in Raten, wie das eben so ist bei einem Kredit. Selbstbewusst, uneinsichtig und realitätsfremd wie ihr seit, stellt ihr euch aber hin und verlangt von der Bank, sie möge doch gefälligst nach eurer Pfeife tanzen und ihr bestimmt jetzt die Regeln. Völlig verkehrte Welt, nicht wahr?

So aber läuft das momentan zwischen Griechenland, der EZB und den restlichen EU-Ländern, liebe Griechenlandversteher. Und nun kommt ihr und seid der Meinung, man solle doch nicht so ‚böse‘ zu den Griechen sein. Nun ja, ‚böse‘ ist relativ. Ist es böse, sich Geld von jemandem zu nehmen, ohne es jemals zurück zahlen zu wollen? Manche nennen das Diebstahl, aber so weit wollen wir hier nicht gehen. Nennen wir es lieber höflich „finanzieller Dilettantismus“.

Jedes Land hat kollektive Stärken und Schwächen. Zugegeben, die Griechen sind ein freundliches, sehr sympathisches Volk -aber von Selbsreflektion sind sie so weit entfernt, wie Pluto von der Sonne. Nach dem kollektiven „Nein“ zu den europäischen Sparauflagen feiert sich dieses Land selbst, als gäbe es kein Morgen. Und das könnte sogar zutreffen.

Was ist nur los mit der Selbstwahrnehmung dieses Landes? Zuerst schummelt man sich durch Vorlage falscher Haushaltszahlen in die EU, hängt dann jahrelang bequem am finanziellen Tropf der europäischen Partner (Griechenland kassiert jährlich 4-5 Milliarden Euro in Form von EU-Strukturhilfen) und wenn die ihr Geld irgendwann auch mal zurückfordern, beschimpft man sie als „böse Gläubiger“? Das, meine Herren, ist wahrer Mangel an Selbstreflektion. Das ist schon die Meisterklasse der kollektiv gestörten Selbstwahrnehmung, verursacht durch einseitige und polemische Berichterstattung der griechischen Medien.

Im Finanzamt spielt man lieber Solitaire

„Wissen Sie, was unser wirkliches Problem mit der Mehrwertsteuer ist? Wir sind nicht in der Lage, sie zu kassieren“.

Auch der Umgang mit Finanzen gehört sicher nicht zu den Talenten dieses Landes. Stellen sie sich ein Land vor, dessen Regierung so unfähig ist, das sie nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebene Mineralölsteuer von seinen Tankstellenbetreibern eintreiben kann. Klingt wie ein Witz? Nein, es ist griechische Realität.

Griechenland hat die höchsten Benzinpreise in Europa -und dennoch kommt beim Staat nichts davon an. Zwar ist jede Tankstelle elektronisch direkt mit dem Finanzamt verbunden (und das auch nur, weil die europäischen Partner darauf bestanden), aber die meisten Tankstellenbetreiber sind einfach so dreist und kappen die Datenverbindung. Und in den Finanzämtern dort hat man anscheinend besseres zu tun, als sich um die ausbleibenden Daten zu kümmern. Vielleicht Solitaire spielen oder so.

Einem Land, das so unfähig ist, sich um seine Haupteinnahmequelle, sprich Steuereinnahmen, zu kümmern, müsste man eigentlich grenzdebiles Verhalten attestieren. Die griechische Regierung stellt es gerne so dar, als würde die EU sie zwingen, Geld nur von den armen, mittellosen Bürgern einzutreiben. Mit diesem polemischen Argument kann man im eigenen Volk gut Stimmung machen. Das die Regierung sich aber trotz zahlreicher Versprechen seit langem weigert, Steuern von den Wohlhabenden einzutreiben und auch sonst kaum Anstrengungen macht, sein dilletantisches Finanzsystem zu modernisieren, wird dabei immer wieder unter den Tisch gekehrt.

„Wissen Sie, was unser wirkliches Problem mit der Mehrwertsteuer ist? Wir sind nicht in der Lage, sie zu kassieren“, erklärte der Athener Finanzminister. „Klingt verrückt, aber es ist so: Je höher diese Steuern, je weniger zahlen die Leute, sie fühlen sich dann berechtigt, nicht mehr zu zahlen.“ Ach so, ja. Ein absolut nachvollziehbares Argument. Schade, das unsere Finanzämter das nicht auch so lasch sehen.

Der Umgang mit Finanzen ist nicht eure Stärke

Momentan wird viel darüber diskutiert, welche negativen Folgen ein Austritt Griechenlands für die EU hätte. Wie bitte? Ist es nicht eine viel grössere Gefahr, ein Land in der EU zu halten, das einen derart desolaten und unfähigen Umgang mit Geld demonstriert? Wer in aller Welt, sollte bitte so unglaublich dämlich sein, einem solch unfähigen Geschäftspartner Geld zu leihen? Ach so ja… wir. Und die EZB. Und das leider immer wieder.

Nein, liebe Griechen, so geht das nicht. Der Umgang mit Finanzen ist nicht eure Stärke. Und mit kollektiver Verleugnung der eigenen Unfähigkeit löst man keine Probleme. Ist es das, was ihr euren Kindern beibringt? Das man jahrelang Geld zum Fenster rauswirft (bzw. sich nicht mal um seine regulären Einnahmequellen kümmert), stattdessen immer wieder um Geld bettelt, um sich dann einfach trotzig und beleidigt zu verweigern, wenn die „bösen Gläubiger“ so frech sind, ihre Kredite auch irgendwann zurückzufordern? Sieht so finanzielle Kompetenz aus? Sieht so Verantwortung aus? Macht man sich so Freunde? Sicher nicht.

Und dann gibt es da ja noch den altbewährten Nazi-Knopf. Was es damit auf sich hat: auf der nächsten Seite.

Im Notfall bitte den Nazi-Knopf drücken

Die Krönung kindischen Verhaltens ist es dann, statt endlich einmal einen Hauch Selbstreflektion zu üben, die NS-Vergangenheit der deutschen Partner zu instrumentalisieren. Seid ihr wirklich so verzweifelt, das ihr auf den mittlerweile längst verstaubten Nazi-Knopf drücken müsst? Zugegeben -die meisten Deutschen tragen quasi von Geburt an einen tiefen Weltschmerz, ein Gefühl grenzenloser Schuld in sich, das dank dem richtigen TV-Programm auch noch täglich wieder aufs neue befeuert wird. An dieses Schuldgefühl zu appelieren ist nicht dumm, hat es in der Vegangenheit doch oft genug funktioniert. Aber was lässt sich eure Regierung als nächstes einfallen, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken?

Ihr habt euch auch jahrelang von den falschen Versprechungen eurer Regierung hinhalten lassen.

Liebe Griechen -euer Land hat sich damals mit gefälschten Haushaltszahlen und viel, viel kreativer Buchführung in die EU gemogelt -und muss nun die Konsequenzen tragen. Ihr könnt euch selbst belügen -aber nach aussen funktioniert diese Strategie nicht. Ihr habt euch auch jahrelang von den falschen Versprechungen eurer Regierung hinhalten lassen, endlich auch Geld von den wohlhabenden Bürgern einzufordern. Stattdessen wurde nichts getan. Man könnte annehmen, das ihr irgendwann aufwacht und die Unfähigkeit eurer eigenen Regierung erkennt (und was diese euch damit angetan hat) -aber im Gegenteil, sie schafft es immer wieder, euch mit markigen Anti-EU-Sprüchen, billigen Jahrmarkt-Tricks und Schein-Referenden zu blenden.

Eure Regierung hat euch auch nicht die Entscheidung in Form eines Referendums überlassen, um Liebe zur Demokratie zu demonstrieren -sondern weil sie in der Klemme steckt. Entweder bricht sie ihre Wahlversprechen und stimmt den verordneten Sparmassnahmen zu (und macht sich damit das Volk zum Feind, das man bisher ja immer gekonnt belügen konnte) oder sie lehnt sie ab und trägt damit die Verantwortung, wenn euer Land dadurch vollständig in den Bankrott stürzt. Das will sie aber nicht. Also überlässt sie die Verantwortung dafür euch. Per Referendum, aber natürlich nicht, ohne vorher deutlich darauf hingewiesen zu haben, für was man gefälligst stimmen sollte.

Mittels Referendum vor der Verantwortung gedrückt

Liebe Griechen, ihr habt euch wieder einmal von eurer Regierung verarschen lassen. Anders kann man es nicht sagen. Denn durch das Referendum habt ihr euren Politikern die direkte Verantwortung für alles nun folgende genommen und freiwillig auf eure eigenen Schultern gelegt. Und euch wurde das auch noch als „selbstbewusste Entscheidung des griechischen Volkes“ verkauft.

So lange ihr nicht erkennt, das das wahre Problem und die wahre Ursache dieser Krise die dilletantische Unfähigkeit eurer Regierung ist (und eure Unwilligkeit, finanzielle Verantwortung für das eigene Land zu übernehmen, indem ihr, vor allem die wohlhabenden unter euch, endlich mal eure Steuern bezahlt), wird sich daran nichts ändern und euer Land immer weiter in die Krise rutschen.

Aber wie gesagt -wir Deutsche sind ja gut darin, Selbstreflektion zu üben. Fragen wir uns also mal, ob auch wir Schuld an dieser Misere haben. Ja, haben wir. Denn jahrelang war uns Symbolpolitik wichtiger, als der Umgang mit Fakten. Unsere Politiker waren mehr darauf bedacht, was für ein fatales Bild ein Austritt Griechenlands verursachen könnte, als darüber nachzudenken, ob ein derart unzuverlässiger Partner eine wirtschaftliche Gefahr für die europäische Union darstellen könnte. Diese blosse „Symbolpolitik“ hat sie uns, den Steuerzahler, bereits viel Geld kosten lassen.

Und wo wir gerade dabei sind: was hält man wohl von der europäischen Symbolpolitik, wenn ein Grexit anscheinend unter allen Umständen vermieden werden soll, völlig ungeachtet der Tatsache, das Griechenland nichts, aber auch gar nichts tut, um seine desolate Situation in den Griff zu bekommen? Ist es dann wirklich die richtige Geste, diesem Land immer und immer wieder entgegen zu kommen? Was für ein Licht wirft das auf die Vertreter der EU? Wirtschaftlich gesehen wohl kaum ein besonders kompetentes.

Deutschland gehört noch zu den tolerantesten Partnern

Zwar gelten die Deutschen, allen voran Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, in Griechenland als die Hauptverantwortlichen für die verhasste Sparpolitik. Doch verglichen mit der Stimmung in anderen Ländern ist die deutsche Haltung noch regelrecht moderat. In jenen Staaten dagegen, die in den vergangenen Jahren harte Wirtschafts- und Sozialreformen hinter sich gebracht haben, ist spätestens seit dem Referendum jedes Verständnis für Griechenland aufgebraucht.

„Bisher hat die griechische Regierung nicht mehr getan, als ihre Wirtschaft bergab zu führen“, sagte der lettische Finanzminister Janis Reirs am Dienstag in Brüssel. Ein wenig diplomatischer, aber inhaltlich ähnlich äußerte sich der Lette Valdis Dombrovskis, für den Euro zuständiger Vizepräsident der EU-Kommission: „Wenn das Vertrauen nicht wiederhergestellt wird und es ein glaubwürdiges Reformpaket gibt, gibt es keine Lösung.“

Allein: Der neue griechische Finanzminister Euklidis Tsakalotos hat zur Überraschung seiner Kollegen in Brüssel offenbar keine neuen Vorschläge vorgelegt.

Korruption und Vetternwirtschaft

Zwei Wochen vor der Wahl kündigte Premierminister Alexis Tsipras an: „Wir vertrauen das Schicksal unseres Volkes den Fähigsten und Ehrlichsten an.“ Der Syriza-Chef versprach, endlich Schluss mit der Vetternwirtschaft in den griechischen Regierungskreisen zu machen. Drei Monate später ist das Bild ein anderes. Es gibt einen weiteren Tsipras – im Amt des Generalsekretärs für internationale Wirtschaftsbeziehungen im griechischen Außenministerium. Giorgos Tsipras ist ein Namensvetter. Und der Cousin des Premiers.

Zahlreiche Schlüsselpositionen im Staat sind ebenfalls mit Verwandten hoher Syriza-Funktionäre oder mit Parteimitgliedern besetzt worden. Neffen, Schwestern, Cousinen von Ministern der linken Regierung sind auf der Liste zu finden.

Damit die Sache nicht so sehr auffalle, hätten zahlreiche Minister und Funktionäre die Verwandten sozusagen „getauscht“, hieß es aus Kreisen der Opposition am Donnerstag. Im Kulturministerium arbeite beispielsweise als Ministerberater der Bruder der Syriza-Funktionärin Rena Dourou, die Gouverneurin der Region von Athen ist. Eine offizielle Reaktion seitens der Regierung gab es zunächst nicht.

Erst wenn es fester Bestandteil der griechischen Mentalität geworden ist, weder Korruption, noch Steuerhinterziehung oder Vetternwirtschaft zu dulden, weder beim Nachbarn, noch im Parlament, wird dieses Land wieder auf einen grünen Zweig kommen.

Und: Das griechische Volk muss endlich aufwachen und sich, statt einer kollektiven Selbsttäuschung hinzugeben, konkrete Reformen von seiner bisher recht dilletantisch agierenden Regierung fordern. Eine andere Lösung wird es nicht geben.

Seltsam? Aber so steht es hier geschrieben... Ihr habt Fragen, Anregungen oder vielleicht sogar eine völlig andere Meinung zu diesem Artikel? Dann postet einen Kommentar.

Mike vom Mars Blog - mike-vom-mars.comAutor: Mike vom Mars
Mike emigrierte vor einigen Jahren von seinem Heimatplaneten auf die Erde, um das Leben am wohl seltsamsten Ort des Universums zu studieren. Seiner Bitte "bringt mich zu eurem Führer" wurde bisher nicht entsprochen.

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Neueste Kommentare

  1. Der Grexit ist ja nunmehr vom Tisch, aber es bleibt abzuwarten, ob die Hilfspakete auch tatsächlich die richtige Entscheidung waren. Ich jedenfalls bin sehr gespannt, wie sich das gnze Thema in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt.

  2. So wie sich das Flüchtlingsdrama gerade entwickelt, tut es einem fast leid um die ganzen Milliarden, die wir nach Griechenland pumpen (und gepumpt haben). Die wären nun besser in der Versorgung und Organisation der Hilfesuchenden angelegt. Auch wenn es die Griechen gerade nicht leicht haben, sie haben wenigstens ein Dach über dem Kopf und Familienangehörige, die für sie da sind -was man von den meisten Flüchtlingen, die derzeit um Hilfe bitten, nicht behaupten kann. Die meisten von ihnen haben buchstäblich nicht mehr als das, was sie am Leib tragen. Dagegen erscheint das Wehklagen der Griechen fast schon wie Jammern auf hohem Niveau :(

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