Ukraine-Krieg

Kriegstagebuch Ukraine – November

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TAG 258 – DIENSTAG, 08.NOVEMBER 2022

+++ Desolate Zustände in russischen Einheiten +++

Nicht weit vor der derzeit umkämpften Ortschaft Svatove haben ukrainische Truppen 21 russische Soldaten, alle erst kürzlich mobilisiert, gefangen genommen. Alle stammen aus der Moskauer Region. Die gesamte Gruppe hat sich freiwillig den ukrainischen Soldaten ergeben – ein kluger Schachzug, denn dies hat sehr wahrscheinlich ihr Leben gerettet. Wie viele andere russischen Einheiten, behauptet auch diese, dass ihre Kommandeure sie einfach allein gelassen hätten, als die Kämpfe begannen. Zudem würden sich russische Einheiten gegenseitig beschiessen.

Auch in vielen mitgehörten Funk – und Mobilnetzgesprächen beschweren sich russische Soldaten mittlerweile über die selben Probleme: dass ihre Kommandeure sie einfach allein im Feld ließen und sie weder mit Fahrzeugen, noch mit Verpflegung, ja nicht einmal mit Wasser(!) versorgt werden. Viele russische Soldaten berichten ihren Angehörigen, dass sie gezwungen wären, Wasser aus Pfützen zu trinken. Für eine Einheit von acht Mann sollen manchmal nur 2 MRE pro Tag zur Verfügung stehen. Zudem haben russische Einheiten anscheinend ein gravierendes Friendly-Fire-Problem. Durch ihre mangelhafte (bzw. gar nicht vorhandene) Ausbildung und völlig ohne Plan und Führung auf dem Feld schießt man dort auf alles, was sich bewegt.

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TAG 257 – MONTAG, 07.NOVEMBER 2022

Keine markanten Geländegewinne oder -Verluste in den letzten Tagen. Dennoch finden entlang der gesamten Frontlinie mehr oder weniger heftige Angriffe, sowie Artillerieduelle statt – an der östlichen Frontline sogar bis zu mehreren Dutzend pro Tag.

+++ Erfolgloser Angriff der Russen auf Pavlivka +++

Mittlerweile hat die Rasputiza eingesetzt, vielerorts sind die Böden nun schlammig und morastig, so dass viele Fahrzeuge dort stecken bleiben. Man könnte meinen, die Russen wüssten das, allerdings scheint ihnen das egal zu sein, so dass bei einem erfolglosen Angriff in schwierigem, schlammigen Gelände auf die Ortschaft Pavlivka mehr als 300 russische Soldaten getötet oder verwundet wurden. Annähernd die Hälfte der dabei benutzten Waffen und Fahrzeuge der Russen wurde dabei zerstört.

Als Folge dieses dilettantischen Angriffs verweigerten die Soldaten des betreffenden Regiments nach russischen Telegram-Quellen weitere Einsätze und schrieben Briefe an die Militärführung, in denen sie die katastrophalen Bedingungen, sowie die Unfähigkeit ihrer Kommandeure anprangerten. Wenigstens das Militär scheint in Russland wohl nach und nach demokratisch zu werden – obwohl Demokratie in keiner Armee der Welt etwas zu suchen hat und dort eigentlich nicht hingehört.

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TAG 256 – SONNTAG, 06.NOVEMBER 2022

+++ Russen setzen „Blockade-Truppen“ ein +++

Insgesamt in den letzten Tagen keine größeren Veränderungen entlang der Frontlinie, jedoch mittlerweile bis zu 80(!) Angriffe täglich der Russen auf den östlichen Frontabschnitt von Bilohorivka bis hinunter nach Vuhledar. Diese Angriffe scheinen völlig unkoordiniert und unabhängig voneinander zu erfolgen. Bei keinem dieser Angriffe konnten die Russen mehr als einige wenige Meter Boden gewinnen – wenn überhaupt -, erleiden dadurch aber täglich massive Verluste. Russischen Quellen zufolge werden an diesem Frontabschnitt sog. „Blockade-Truppen“ eingesetzt. Darunter versteht man eine zweite Linie an Soldaten, die hinter der ersten Linie postiert wird. Der ersten Linie (die z.B. aus Zwangsrekrutierten besteht) wird daraufhin befohlen, ungeschützt über die Frontlinie zu rennen und gegnerische Stellungen anzugreifen, damit man sieht, wo sich Gegner verstecken. Wer sich weigert, oder gar umdreht oder flieht, wird von den „Blockade-Truppen“ hinter ihm sofort erschossen. Diese menschenverachtende Taktik wendeten die Russen bereits im Zweiten Weltkrieg u.a. bei der Schlacht von Stalingrad an.

+++ Kherson: neue Verteidigungslinien +++

Auf der linken Seite des Dniepr (also auf dem Südufer) wurden von den Russen mittlerweile mehrere Verteidigungslinien errichtet, die aus Gräben und sog. „Pillboxes“ aus Beton bestehen. Zudem wurden fast sämtliche verfügbaren Boote und Kähne, die auf der rechten Seite noch angetaut waren, von den Russen versenkt und unbrauchbar gemacht, damit die Ukrainer diese nicht zum Ãœbersetzen nutzen können. Dabei sind durch lecke Lastschiffe und auslaufendes Öl schwere Umweltschäden entlang der Küste des Dniepr entstanden. Anscheinend haben die Russen mittlerweile sämtliches schwere Gerät auf die linke Seite des Dniepr geschafft, während in Kherson selbst auf der rechten Seite des Fluss nur noch Infanteriesoldaten die Stellung halten, die zivile Häuser und Wohnung besetzen. Die Anzahl dieser immer noch in Kherson verbliebenen Truppen soll 20.000 – 30.000 Mann betragen.

+++ Russen rauben Kunst aus Kherson +++

Ebenfalls in Kherson plünderten unter dem Deckmantel der „Evakuierung“ bewaffnete Männer in Zivilkleidung vier Tage lang das Oleksiy Shovkunenko Kherson Art Museum, wie die Verwaltung des Museums in einem Facebook-Post mitteilte. Zwischen dem 31. Oktober und dem 3. November nahmen russische Besatzungstruppen und russische Kollaborateure „alles mit, was sie sahen, alles, was sie erreichen konnten“, ohne die Werke ordnungsgemäß für den Transport zu verpacken, heißt es in dem Beitrag. Die Lastwagen mit den Werken waren für die russisch besetzte Krim bestimmt, aber es ist unklar, ob dies ihr endgültiger Bestimmungsort ist, schrieb das Museum. Die Polizeibehörde der Oblast Cherson hat außerdem eine strafrechtliche Untersuchung der Plünderung des Museums eingeleitet, die Teil einer Reihe von laufenden Ermittlungen zu russischen Kriegsverbrechen in der Oblast ist. Der Raub von Kunst- und Kulturwerken stellt ein Kriegsverbrechen dar.

+++ Russen verlieren komplettes Bataillon bei Makiivka +++

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Wie mittlerweile von beiden Seiten bestätigt wird, hat die russische Armee bei einem Angriff auf den Ort Makiivka (nahe Svatove und Kremmina) am 2. November ein gesamtes Bataillon verloren, das hauptsächlich aus frisch mobilisierten Reservisten bestand. Bei diesem gescheiterten Angriff, bei dem die russischen Kommandeure sich, wie üblich, sehr schnell aus dem Staub gemacht und ihre Soldaten alleine auf dem Feld ließen, starben 570 Mann für nichts. Lediglich 29 sollen überlebt haben, die meisten davon schwer verwundet. Ein neuer Rekord. Seit dem Ersten Weltkrieg hatte keine Armee der Welt wiederholt so hohe tägliche Verluste, wie die der Russen.

🤡 Fun Fact
Die Anzahl der Russen, die stolz ein „Z“ auf der Brust oder dem Auto durch die Gegend tragen, hat seit der Mobilisierung extrem abgenommen – kein Wunder, denn außerhalb von Moskau und St.Petersburg werden Russen immer noch von der Straße weg, beim Einkaufen oder Spazierengehen von speziellen „Häschern“ zwangseingezogen.

TAG 255 – SAMSTAG, 05.NOVEMBER 2022

+++ Update: Zustand der Kertsch-Brücke +++

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Gestern wurde Putin über die Reparatur der Krim-Brücke unterrichter. Es stellte sich heraus, dass nicht nur die zerstörten Fahrspuren, sondern auch benachbarte Fahrspuren, aber auch ein Teil der Brücke unter der Eisenbahnstrecke ausgetauscht werden müssen.

1) Vier zerstörte Brückenpfeiler wurden abgebaut. Sie sollen bis zum 20. Dezember wiederhergestellt werden.

2) Wenn der zerstörte Teil der Brücke wiederhergestellt ist, werden die vier benachbarten Brückenfelder demontiert, sie sind verformt und sollen bis zum 30. März 2023 wiederhergestellt werden.

3) Die Bahnlinie ist eingleisig geworden, die zweite Spur kann nicht mehr befahren werden. Zwei Gleise müssen demontiert werden. Es ist geplant, sie bis zum 15. September 2023 wiederherzustellen.

TAG 254 – FREITAG, 04.NOVEMBER 2022

+++ Zusammenfassung der Lage +++

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Insgesamt in den letzten Tagen keine größeren Veränderungen entlang der Frontlinie.

(I) Nordosten
Ukrainische Truppen stehen weiterhin vor den strategisch wichtigen Orten Kreminna und Svatove, die beide noch vehement von russischen Truppen verteidigt werden. Vor allem Svatove ist ein strategisch wichtiger Nachschubknoten, dessen Befreiung die russischen Truppen im Norden empfindlich schwächen würde. Ukrainische Truppen konnten mittlerweile bis ca. 15km westlich der Stadt vorrücken, wodurch sich die zwischen ihnen und Svatove verlaufende Straße P-66 in ukrainischer Reichweite befindet und mit allen Waffengattungen beschossen werden kann. Obwohl russische Truppen immer wieder versuchen, die Ukrainer von Svatove und Kreminna weg zurück nach Westen zu drängen, liegt die Initiative in diesem Gebiet immer noch bei den ukrainischen Truppen. Allerdings verzeichnen diese derzeit nur geringe tägliche Geländegewinne.

(II) Osten
In der Gegend um Bakhmut drücken Einheiten der Gruppe Wagner und der DPR weiterhin unter hohen Verlusten gegen diesen für sie strategisch wichtigen Ort. Dies geschieht mittlerweile aus drei verschiedenen Vektoren (nördlich, östlich, südlich von Bakhmut), die allesamt auf das Zentrum von Bakhmut zielen. Der Geländegewinn für die Russen beträgt hier weiterhin bestenfalls einige Meter am Tag, wobei sie zwar vor kurzem bereits vor den Aussenbezirken Bakhmuts standen, dann aber innerhalb eines Tages von den Ukrainern wieder mehr als 2 km zurück gedrängt wurden. Im Gebiet von Bakhmut bis hinunter nach Barinka liegt die Initiative derzeit bei den russischen Truppen, wobei sie hier aber trotz hoher Verluste nur wenige Meter Gelände pro Tag gewinnen.

(III) Süden
Im Süden keine großen Veränderungen, nur hin und wieder ein Abklopfen der Front bzw. Aufklärungsvorstöße von beiden Seiten. Bei Seiten haben entlang der Südfront Truppen massiert.

(IV) Kherson
Die Lage in Kherson ist derzeit äußerst unklar. Während russische Quellen angeben, die Stadt zu räumen und sich geordnet zurückzuziehen, sprechen ukrainische Quellen von Zwangsdeportationen ukrainischer Einwohner Khersons nach Russland. Ebenso sollen ukrainische Bewohner des besetzten Gebiets zwangsmobilisiert worden und unter Waffengewalt an die Front gezwungen worden sein, um gegen ihr eigenes Volk zu kämpfen. Zivile Wohnhäuser im Gebiet Kherson sollen beschlagnahmt worden und von russischen Soldaten besetzt worden sein, die zivile Kleidung tragen. Schweres Gerät der Russen soll bereits nach Süden auf die linke Seite des Dniepr transportiert worden sein, so dass nur noch leichte Infanterie auf der rechten Seite des Flusses zurück bleibt. In den letzten Tagen wurden russische Wachposten auf der besetzten rechten Flussseite verlassen vorgefunden. Auch wurden russische Flaggen von Gebäuden eingeholt und entfernt.

Klar ist, dass die Russen ihr schweres Gerät, v.a. Artillerie, über den Fluss in Sicherheit gebracht haben. Das macht Sinn, denn mit einer Reichweite von 20km können die ukrainischen Truppen auch noch von dort beschossen werden. Ob die Russen aber letztendlich auch ihre Soldaten aus den besetzten Häusern in Kherson abziehen, oder sich auf einen Häuserkampf vorbereiten, ist abzuwarten. Klar ist, dass die Russen auf dem noch besetzten Gebiet mehrere gestaffelte Verteidigungslinien angelegt haben, so dass davon auszugehen ist, dass sie ihren Brückenkopf in der Stadt nicht kampflos aufgeben wollen oder gar eine Falle vorbereiten. Derzeit sollen sich immer noch über 20.000 russische Soldaten in der Stadt aufhalten, wobei diese in letzter Zeit sogar noch deutlich durch frisch mobilisierte Kräfte aufgestockt wurden, so dass die derzeitige Truppenstärke der Russen in Kherson bis zu 30.000 Mann betragen kann.

Weiterhin ist nach wie vor unklar, ob die Russen beabsichtigen, den Staudamm zu sprengen, sobald ukrainische Truppen Kherson befreit haben und was sie mit dem Atomkraftwerk Saporischja in Enerhodar vorhaben, dass in den letzten Tagen abermals von äußerer Stromzufuhr abgeschnitten wurde, so daß die Kühlung der Reaktoren nun wieder durch lokale Stromgeneratoren erfolgt, deren Dieselvorrat nur noch für ca. 12 Tage reichen soll.

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