Jeder von uns wurde einer lebenslangen Gehirnwäsche und einer intensiven Verhaltenskonditionierung unterzogen. Wer wärst du heute, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre?
Ich bin kein Fan von komplizierten Dingen. Menschen sind leider Meister darin, Dinge zu verkomplizieren, anstatt sich das Leben einfacher zu machen. Manchmal aber lohnt es sich, über scheinbar simple Dinge nachzudenken. Vor allem, wenn sie nicht weniger, als unser ganzes Leben betreffen.
Da ist zum Beispiel das Geschlechter-Ding auf diesem Planeten. Schon immer nahmen Menschen es als gegeben hin, das es nur zwei Geschlechter geben soll: männlich und weiblich. Diese binäre Sicht („binär“ = zweiteilig) ist bestechend einfach, so simpel wie schwarz und weiss. Und so wird jeder von uns schon am Tag seiner Geburt aufgrund seiner körperlichen Geschlechtsmerkmale in eine von zwei Schubladen gesteckt: in die männliche oder die weibliche Schublade.
Und je nachdem, in welcher Schublade man steckt, verläuft der Rest deines Lebens in der einen oder anderen Bahn. Eine Wahlmöglichkeit gibt es nicht. Schon als Kind bestimmt deine Schublade, welche Kleidung du trägst, welches Spielzeug du bekommst, wie die Menschen mit dir reden, wie oft sie dir sagen, ob du „hübsch“ oder „klug“ seist, ob man dir deine Haare Klobürstenkurz schneidet, wie die eines KZ-Häftlings, oder du sie frei wachsen lassen darfst.
Schnell lernst du, daß jede Schublade ihre eigene Farbe hat: blau für die männliche, rosa für die weibliche. Diese Farben zu verwechseln gilt als grober Verstoss gegen die Etikette. Du gehörst nun entweder in das blaue, oder in das rosa Lager. Punkt.
Steckst du in der rosa Schublade, verzeiht man dir gerne, wenn du dich körperlich nicht anstrengen willst. So lernst du nie, wie stark dein Körper oder dein Wille eigentlich ist, gibst viel schneller auf, als eigentlich nötig und versuchst in Zukunft immer, körperlich anstrengende Arbeiten auf Bewohner der blauen Schublade abzuwälzen.
Steckst du aber in der blauen Schublade, erwartet man von dir dagegen eine gewisse Eigenständigkeit. Ein Mangel an körperlicher Hygiene und Einfühlsamkeit wird dagegen verziehen. Man versucht, dein Interesse an Maschinen, Werkzeugen und allem, was laut ist, zu wecken – auch, wenn du Lärm eigentlich hasst.
Und so zieht sich das durch dein ganzes Leben: je nachdem, in welcher Schublade du steckst, begegnet man dir mit Misstrauen (du könntest ja gefährlich sein) oder Offenheit, stehen dir bestimmte Berufe zur Verfügung oder eben nicht, verdienst du mehr, oder weniger, sind dir bestimmte Kleidungsstücke erlaubt, oder nicht, sollst du eine Familie gründen oder ermutigt man dich, durch die Welt zu reisen.
Dein wahres Wesen kennst du nicht. Du hast es nie kennengelernt. Du weisst nicht, ob du in Wahrheit mutig bist, oder eher ein sanftes Wesen hast – denn man hat dir von Anfang an zu verstehen gegeben, das man von dir als Vertreter deiner Schublade ein bestimmtes Verhalten erwartet.
Und im Laufe der Zeit hast du dich selbst so mit deiner eigenen Schublade identifiziert, das dir die Bewohner der anderen Schublade seltsam vorkommen – du hast das Gefühl, ihr Verhalten nicht wirklich zu verstehen. Aber andererseits fasziniert dich auch diese Andersartigkeit. Und so lernst du früh, das man sich auf diesem Planeten wohl nach dem Grundsatz „Gegensätze ziehen sich an“, statt „gleich und gleich gesellt sich gern“ findet.
Was wäre wenn..?
Was wäre nun gewesen, wenn dein Geschlecht vom Tag deiner Geburt an keine Rolle gespielt hätte? Und zwar ABSOLUT keine? Wenn man dich nicht in rosa oder blaue Kleidung gesteckt hätte, dir nicht bestimmte Verhaltensweisen verboten und andere nahegelegt hätte, nicht dein Spielzeug und auch nicht deinen Frisurstil oder eine Haarlänge für dich ausgesucht hätte?
Wenn du in deiner Jugend nicht dazu ermutigt worden wärst, ständig sexuell aktiv sein oder dich keuscher verhalten zu müssen? Wenn man dir bei deiner Berufswahl nicht diese oder jene Berufe nahegelegt hätte? Wenn du nicht bei jeder Unterhaltung spüren würdest, das dein Gegenüber in dir zuerst mal dein Geschlecht, und DANN erst den Menschen dahinter sieht?
Du wirst leider nie erfahren, wie dein Leben verlaufen wäre, wenn du von Anfang an einfach nur ein Mensch hättest sein dürfen, ohne Fraktion „blau“ oder Fraktion „rosa“ vertreten zu müssen. Du wirst nie erfahren, ob du heute vielleicht einen völlig anderen Charakter mit anderen Verhaltensweisen hättest, einen anderen Beruf oder andere Freunde hättest. Man hat dir ja keine Wahl gelassen.
Von Geburt hält man dich in einem Geschlechter-Gulag gefangen.
Wer wärst du heute, wenn man dir in allem eine eigene Wahl gelassen hätte und du dich nicht immer wieder irgendeiner gesellschaftlichen Konvention hättest fügen müssen?
Ãœberraschenderweise gibt es solche wirklich freien Menschen. Oh, es gab sie schon immer – aber seitdem man nicht mehr mit der Todesstrafe rechnen muss, wenn man sein biologisches Geschlecht verleugnet (oder einfach nur „erweitert“), sind die Chancen gar nicht mehr so schlecht, auf einen dieser wirklich freien Menschen zu treffen.
Auf der nächsten Seite: Willkommen im Kaninchenbau.
Willkommen im Kaninchenbau
Was passiert, wenn man eine tausende Jahre dauernde strikte Trennung der Welt in „männlich“ und „weiblich“ aufhebt? Wenn Menschen sich zum ersten mal seit Menschengedenken (zumindest theoretisch) frei entscheiden dürfen, welches Geschlecht ihnen lieber wäre? Wenn es plötzlich keine geraden Linien mehr gibt, sondern geschwungene Kurven? Kein Schwarz und Weiss mehr, sondern plötzlich viele bunte Facetten und Farbverläufe?
Nun werden die Dinge (scheinbar) wirklich komplex:
Plötzlich ist dann die Rede von „andro-, gyno- oder skoliosexuell“, wenn es um die sexuelle Orientierung geht. Oder von „Demi-Boys“ und „Demi-Girls“, wenn es um das Zugehörigkeitsgefühl zu einem bestimmten Geschlecht geht. Oder von einer „cisnormativen Weltanschauung“.
CISNORMATIVITÄT
Die cisnormative Weltanschauung basiert auf mehreren Fehlannahmen:1. Es gibt nur zwei Geschlechter (männlich und weiblich).
2. Das Geschlecht einer Person lässt sich anhand ihrer Genitalien bestimmen.
3. Bei allen Menschen stimmt grundsätzlich ihr Geschlecht(sbewusstsein) mit ihren Genitalien und damit auch mit dem ihnen nach der Geburt zugewiesenen Geschlecht überein. Das bedeutet, alle Menschen sind cis.
ANDRO- / GYNO- / FEMME- / SKOLIOSEXUELL
Eine androsexuelle Person fühlt sich sexuell zu Menschen hingezogen, die der Sphäre von „männlich“ zugehörig sind. Eine gyno- / femmesexuelle Person fühlt sich sexuell zu Menschen hingezogen, die der Sphäre von „weiblich“ zugehörig sind. Eine skoliosexuelle Person fühlt sich sexuell zu Menschen hingezogen, die nicht-binär sind und weder der Sphäre von „weiblich“ noch von „männlich“ zugehörig sind. Andro-, gyno- und skolioromantisch beschreiben dementsprechend, in Menschen welcher Geschlechter sich eine Person verliebt oder mit welchem Geschlecht sie Sex haben möchte.
DEMI-BOY / DEMI-GIRL
Die Vorsilbe „Demi“ beschreibt „zur Hälfte“, „in der Nähe von“, „teilweise zugehörig“ oder „in der Sphäre von“.Häufig wird „Demi-boy“ / “Demi-girl“ von Personen verwendet, die sich selbst überwiegend aber nicht ausschließlich mit „männlich“ / “weiblich“ oder maskulinen / femininen Eigenschaften beschreiben. Demi-boy und Demi-girl fallen zusammen mit Demi-non-binary unter den Oberbegriff Demi-gender. Die Beschreibung als Demi-gender ist unabhängig von dem nach der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Beispielsweise können sich sowohl nach der Geburt als „männlich“, als auch als „weiblich“ zugewiesene Personen als Demi-Boy beschreiben, wenn sie ihr Geschlechtsbewusstsein in der Sphäre von „männlich“ verorten.
Stop!
Es geht doch viel einfacher: indem wir das Leben nicht mehr, wie Primaten, nur sexualisiert sehen, sondern uns einfach nur noch als MENSCHEN erkennen, und sowohl das biologische, als auch unser psychologisches Geschlecht somit eigentlich keine Rolle mehr spielt!
Was passt, das passt einfach. Sei, wer du bist, wie du bist, was du bist. Punkt. Keine Regeln, keine Verbote, ausser „tu‘ niemandem weh“. Ansonsten sollte jeder frei sein, sein eigenes Glück zu finden – oder, noch besser, versuchen, andere glücklich zu machen.
Denn all diese neuen, verwirrenden Begriffe und Definition sind eigentlich nur nötig, wenn wir im Hinterkopf immer noch in Schubladen von „männlich“ und „weiblich“ denken und uns selbst oder andere krampfhaft irgendwo dazwischen einordnen wollen.
Wirklich überwunden haben wir das binäre Weltbild damit aber nicht. Das wird erst der Fall sein, wenn wir all diese Begriffe völlig fallen lassen und uns vom sexualisierten Weltbild unserer Primaten-Vorfahren endlich verabschieden, in dem sich alles nur um Sex und Fortpflanzung dreht.
Die Industrie beharrt auf Schubladen
Kinderfilme strotzen vor Sexismus.
Natürlich lebt eine ganze Industrie davon, uns Menschen in zwei Gruppen, männlich und weiblich, zu teilen. Denn Kleidung, Fahrräder oder Rasierer – alles lässt sich besser verkaufen, wenn es jeden Ramsch doppelt gibt: für Männlein und Weiblein. Ein Damenrasierer ist der selbe, wie der für Männer – nur rosa und 20% teurer. Was soll dieser Unsinn?
Noch schlimmer macht es die Filmindustrie – durch Animationsfilme, die wirklich kein billiges Geschlechterklischee auslassen (Frauen sind dünn und grazil, Männer Gorillagleich mit dem Körperbau eines Wohnzimmerschranks) lernen schon unsere Kleinsten, wie man als „Mann“ oder „Frau“ gefälligst auszusehen hat.
Also hören wir einfach damit auf, jeden Menschen irgendwo einordnen zu wollen. Sobald wir endlich, auf dieser Stufe unserer Evolution, nur noch die sind, die wir sein wollen und andere so sehen, wie sie wirklich sind, werden all diese verwirrenden Begriffe bedeutungslos.
Der Mensch zählt – nicht das Geschlecht. Und das muss endlich in jeden Kopf hinein.
Dann erkennen wir, das uns nicht gerade ein Mann oder eine Frau gegenübersteht, sich ein Mann oder eine Frau für einen Job bewirbt, sondern ein Mensch. Und diese Person kannst du nur dann wirklich erkennen, wenn du jede Geschlechterbrille abnimmst, nicht versuchst, sie (bewusst oder unbewusst) in eine Schablone zu stecken, sondern dich einfach überraschen lässt, wie einzigartig dieser Mensch ist.
Dann gibt es nur noch das Individuum selbst. Jedes einzigartig. Keine Schablone. Kein Prototyp. Weder männlich, noch weiblich. Sondern einfach nur ein interessanter, freier MENSCH.
Zwei Geschlechter sind eigentlich eines zu viel. Denn dadurch haben wir uns seit langer Zeit eine Sicht der Welt eingebildet, die alles in „männlich“ oder „weiblich“, schwarz oder weiss trennt. Dadurch erst stellen wir eine künstliche Trennung zwischen Menschen her, konzentrieren uns auf scheinbare Gegensätze, statt auf Gemeinsamkeiten und pressen uns in Schubladen, wo eigentlich gar keine sein müssten.
Wer sagt „eine Welt ohne Geschlechter wäre doch langweilig“ beweist damit nur, das er zur aussterbenden Sorte Mensch gehört, die immer noch mit ihrem Geschlechtsteil denken und im Grunde lediglich nach einem Menschen suchen, in den ihr Geschlechtsteil hinein passt. Solche Menschen wären in einem Affengehege wahrscheinlich besser aufgehoben.
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Vermeintlich politisch korrekte Geschlechtsaufzählungssätze wie „Unsere Wähler und Wählerinnen, freiwillige Helfer und Helferinnen, Lehrer und Lehrerinnen“ verballhornen nicht nur unsere Sprache, sondern zementieren auch mit jeder einzelnen Anwendung die Trennung der Menschen in Geschlechtslager aufs Neue.Auch Feministen (*innen, *ixen, *ötzen und wie auch immer) sollten akzeptieren, das es Menschen gibt, die NICHT mit einem Geschlecht genannt werden wollen – oder vielleicht auch BEIDE Geschlechter für sich beanspruchen. Willkommen in einer Welt ohne Schubladen. Ohne Geschlechter-Gulag. Eine Welt, in der es einfach nur Menschen gibt.
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