Ukraine-Krieg

Warum ist Russlands Armee so schwach?

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Mangel an moderner Munition

„Selbst diese Taktik der Russen geht mittlerweile nicht mehr auf.“

Schon vor Wochen sind den Russen die „intelligenten“, also lenkfähigen Gefechtsköpfe ausgegangen – ein Grund, warum statt präzisem Feuer auf ausgewählte Ziele, wie die Ukraine es derzeit mit vom Westen gestellten HIMARS-Mehrfachraketenwerfern vormacht, auf russischer Seite quasi nur mit einer Walze aus „blindem“ Artilleriefeuer vorangegangen wird. Der Grund dafür ist nicht etwa, die Zivilbevölkerung zu verunsichern, nein, der Russe kann nicht anders! Intelligente Gefechtsköpfe sind mittlerweile Mangelware, es steht nur noch ungelenkte Artillerie zur Verfügung, diese dafür aber massenhaft. Dumm nur, wenn man dann aber schlecht ausgebildete Soldaten im Feld hat, die noch nicht einmal gelernt haben, eine Artilleriegranate auch nur ansatzweise ins Ziel zu bringen. Das Resultat sind unglaublich hohe Verluste auf Seiten der Russen, aber ebenso hohe Verluste auf Seiten der ukrainischen Zivilbevölkerung, deren Häuser man so in einer Feuerwalze zu Schutt und Asche bombt, ohne dabei irgendwelche tatsächlichen militärischen Ziele zu zerstören.

Und selbst diese Taktik der Russen geht mittlerweile nicht mehr auf – denn seitdem die Ukraine über zielgenaue HIMARS verfügt (der M31 Lenkflugkörper verfügt beispielsweise über eine Zielgenauigkeit von 2-3 Metern nach einem Flug von über 80 Kilometern) gelingt es den Ukrainern fast täglich, ein russisches Waffendepot nach dem anderen zu zerstören – ganz ohne Feuerwalze, Kollateralschäden oder verwundeten eigenen Soldaten. Einfach nur, weil sie über moderne, zielgenaue Munition verfügt. Ein Schuss – ein Volltreffer, statt blinder Zerstörung.

Durch das Zerstören russischer Munitionsdepots zwingt man die Russen nun, die Depots viel weiter im Hinterland anzulegen. Die Taktik der „dummen“ russischen Feuerwalze erfordert aber, dass aus diesen Depots, die nun an die 100km von der Front entfernt liegen, täglich tausende Tonnen Artilleriegranaten, Raketen und Treibstoff an die Front geschafft werden müssen. Nun muss man sich vorstellen, dass eine Artilleriegranate gute 50-100kg wiegt, von einer Rakete ganz zu schweigen. Das sorgt für kilometerlange, aus der Luft von weitem sichtbare Lastwagenkonvois an die Front. Wer möchte hier noch zusätzliche LKW für medizinischen Bedarf oder persönliches Equipment der Soldanten verschwenden?

Zwar gab es viele technologische Innovationen, auch solche, die die Präzision russischer Angriffe erhöhen könnten. Diese sind beim russischen Militär jedoch aufgrund von Bestechung, Veruntreuung und Betrug nie wirklich zustande gekommen oder nie in Serie gegangen. Ein russisches Rüstungsunternehmen erhielt beispielsweise 2012 rund 26 Millionen US-Dollar für die Entwicklung eines Flugzeugsystems zum Abfangen nicht-strategischer Raketen, wie die lokale Presse berichtete. Die Forschung kam jedoch nie in Gang, da das Unternehmen betrügerische Verträge mit Briefkastenfirmen unterzeichnete, von denen einige auf die Adressen von öffentlichen Toiletten in der russischen Region Samara registriert waren.

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Foto: Reuters

Dedowschtschina – Gewalt in der Kaserne

„Dieses System stammt noch aus der Zarenzeit.“

Über Sieg und Niederlage entscheidet im Krieg nicht zu­letzt die Moral der Streitkräfte. Je länger ein Krieg dauert, je aufreibender er ist, desto wichtiger wird die psychische Verfassung der Soldaten. Seit Kriegsbeginn beweisen die ukrainischen Kampfeinheiten eine moralische Stärke, der weltweit Respekt gezollt wird. Wie aber steht es um die Moral der russischen Streitkräfte?

Während die Befehlsstruktur der ukrainischen Streitkräfte durchaus auch Raum für eigene Entscheidungen und eigenmächtiges Handeln kleinerer Einheiten im Feld erlaubt, ist es russischen Soldaten streng untersagt, eigene Entscheidungen zu treffen. Die Befehlsstruktur in der russischen Armee ist äußerst hierarchisch. Schlimmer noch, Misshandlungen und Schikanierung sind hier immer noch an der Tagesordnung. Dieses als Dedowschtschina („Herrschaft der Großväter“) bekannte System bezeichnet das in den russischen Streitkräften und Streitkräften anderer postsowjetischer Staaten teilweise bis heute übliche Schikanieren jüngerer wehrpflichtiger Soldaten durch Dienstältere. Und hier geht es nicht um kindische Streiche wie das Einschliessen in Kleiderspinde, sondern um schwerste körperliche Misshandlungen, monatelanges, systematisches Mobbing und sogar Vergewaltigungen.

Wer seine Ausbildung in einem solchen System der Unterdrückung und Gewalt absolviert, lernt schnell, „die Klappe zu halten“. Natürlich halten sich Moral, Begeisterung, Heldenmut und Patriotismus bei Soldaten, die unter einem solchen System leiden mussten, in sehr engen Grenzen.

Das Phänomen der Dedowschtschina lässt sich bis in die Zarenzeit zurückverfolgen. Es weist offensichtliche Verbindungen zum Straflagersystem in der Zaren- wie Sowjetzeit auf und griff seit den 1970er Jahren in den sowjetischen Streitkräften immer weiter um sich. Dabei handelt es sich nicht um klassische Initiationsriten, wie sie häufig bei der Aufnahme in geschlossene Gemeinschaften üblich sind, sondern um kontinuierliche Praktiken über einen längeren Zeitraum hinweg. Ihr Unterworfene haben die Arbeiten der „Großväter“ wie Revierreinigen usw. zu erledigen, ihnen werden außerdem der Sold und Zuwendungen Angehöriger abgenommen. Ein beleidigender Umgangston ist selbstverständlich, ausgefeilte psychische Quälereien treten hinzu. Die Schikanen erreichen mit Körperverletzungen, Vergewaltigungen und Morden nicht selten schwer kriminelles Ausmaß. Die Dedowschtschina ist häufig die Ursache für unerlaubtes Entfernen von der Truppe bis hin zu vielen dokumentierten Selbstmorden in der russischen Armee.

Bei der in der DDR stationierten Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland wurde das mit der Dedowschtschina zusammenhängende Entfernen von der Truppe mit drakonischen Strafen belegt. Die Flüchtigen wurden häufig mit Hunden verfolgt. Viele kamen bei den verzweifelten Fluchtversuchen ums Leben. Bis über die Mitte der 1980er Jahre hinaus galt das Phänomen in der Sowjetunion als Tabuthema, erst die sogenannte Glasnost unter Staats- und Parteichef Gorbatschow trug dazu bei, dass eine breite Öffentlichkeit Notiz davon nehmen konnte. Viele Betroffene versuchen, sich mit Hilfe von Korruption und hohen Bestechungsgeldern der Einberufung zu entziehen.

Jedes Jahr werden Soldaten als Invaliden aufgrund von Misshandlungen, Vergewaltigungen und psychischen Peinigungen aus der russischen Armee entlassen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums gab es im Jahr 2010 bis Anfang September mehr als 1700 Dedowschtschina-Opfer. Im Jahr 2005 starben 16 Soldaten an den Folgen von Misshandlungen, 276 begingen nach Quälereien und Erniedrigungen durch Vorgesetzte Suizid, andere Quellen sprechen von über 500 Opfern. Ungeklärt ist, weshalb manchen Opfern vor der Überstellung zur Beerdigung innere Organe entfernt wurden. Angehörige vermuten, dass diese in den Organhandel gelangen.

2019 erregte der Fall von Ramil Shamsutdinov Aufsehen. Aus Angst vor Dedowschtschina erschoss der Rekrut in seiner Kaserne bei Tschita acht Kameraden und verletzte zwei schwer.

Wen wundert es, dass Soldaten, die bereits in der Ausbildung so schwer misshandelt werden, später abscheuliche Gewaltakte begehen oder die erstbeste Gelegenheit nutzen, sich unerlaubt von der Truppe zu entfernen?

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