Seitdem wir der Religion den Rücken gekehrt und uns vergnügt den oberflächlicheren Dingen des Lebens widmen, ist sie wieder da: unsere unsägliche Angst vor dem Tod. Kaum jemand schafft es, mit diesem Thema ungezwungen umzugehen. Woher kommt diese unglaubliche Angst vor dem Tod?
In fast jedem amerikanischen Film kommt irgendwann die Szene, in der einer der Darsteller mit weit aufgerissenen Augen in die Kamera brüllt: „Oh mein Gott, wir werden alle sterben!“. Und es stimmt. Wir werden alle sterben. Jeder einzelne von uns. Ohne Ausnahme.
Doch obwohl er jeden von uns trifft -irgendwo, irgendwann, zu jeder möglichen oder unmöglichen Zeit- ist der Tod in unserer derzeitigen Gesellschaft zu einem unerwünschten Thema erklärt worden, der uns den Spass am Leben nimmt. Der Tod ist eine Frechheit. Etwas unbequemes, das nicht mehr in unser modernes Leben passt. Warum ist das so? Warum können so viele Menschen nicht mehr mit dem Tod oder dem Sterben umgehen?
Wir leben in einer Kunstwelt
Wir sind verwöhnt. Schon seit fast drei Generationen leben wir nun in der längsten Friedensperiode der europäischen Geschichte. Es geht uns wirtschaftlich gut, wir haben genug Freizeit und noch nie gab es mehr Gelegenheiten, sich gekonnt von den unangenehmen Dingen des Lebens abzulenken. Doch es gab auch andere Zeiten. Zeiten, in denen der Tod sprichwörtlich an jeder Ecke lauerte.
Man konnte an Dingen wie einer Kieferentzündung sterben, an einer harmlosen Schnittwunde oder einer Krankheit, die wir heute nur noch aus Büchern kennen. Wenn wir überhaupt das Glück hatten, unsere eigene Geburt zu überleben. Während der Pestepidemie des 14. Jahrhunderts oder den schrecklichen Jahren des Zweiten Weltkriegs war der Tod so allgegenwärtig, das man vielerorts buchstäblich über Leichenberge klettern musste. Ein Bild, das wir heute nur noch aus Filmen kennen und das man sich heute auch nur noch als Filmszene vorstellen möchte -mit dem beruhigenden Wissen, das es sich dabei ja nur um „special effects“ handelt. Aber diese Dinge waren real.
Damals war der Tod ein natürlicher Bestandteil des Alltags. Er gehörte einfach dazu. Es gab Zeiten, in denen es kaum einen Tag ohne Todesfall gab, ob natürlich oder gewaltsam. Verstorbene Angehörige wurden, anders als heute, nicht so schnell wie möglich aus den Augen geschafft und „entsorgt“, sondern in der Regel noch einige Tage zuhause aufgebahrt, damit man von ihnen Abschied nehmen konnte. Eine Leiche im eigenen Haus -vor den Augen der Kinder. Für heutige Verhältnisse unvorstellbar, für die damalige Mentalität etwas tröstliches.
Wir leben heute in einer Kunstwelt, die sich gänzlich auf das Leben fokussiert und dem, was es schön macht. Wir leben für die Wunscherfüllung, ob Sex, Konsum, Urlaub oder einfach nur das süsse Nichtstun. Warum also solle man sich noch mit unangenehmen Dingen beschäftigen? Unsere Dienstleistungsgesellschaft bietet für jeden Anlass den geeigneten Service. Wir müssen unsere verstorbenen nicht mehr selbst begraben (und dürfen es noch nicht einmal, selbst wenn wir es wollten). Wir rufen einfach ein Bestattungsunternehmen an, das diese unangenehme Angelegenheit für uns erledigt -mit allem drum und dran.
Ganze Dienstleistungszweige haben sich darauf spezialisiert, uns diese unangenehmen Aufgaben abzunehmen und den Tod aus unserem Leben fernzuhalten. Aber hilft uns das wirklich? Wäre es für uns nicht heilsamer, uns mit dem Tod eines geliebten Menschen von Anfang an auf natürliche Weise auseinandersetzen zu müssen? Würde es uns die Angst vor dem Tod nicht nehmen, wenn wir wieder den direkten Kontakt mit ihm zuliessen?
Wir kontrollieren das Leben -aber nicht den Tod
Wir haben kein Problem mit dem Tod, sofern er sich nicht vor unseren Augen abspielt.
Unsere Angst vor dem Tod entspringt auch dem Gefühl der Machtlosigkeit. Als moderne Menschen sind wir gewohnt, die Kontrolle über alles zu haben. Wir kontrollieren jeden Aspekt unseres Alltags und unserer Umgebung. Wir können das Wetter kontrollieren. Wir besuchen entfernte Orte am Rande des Universums -und dank Gentechnik, künstlicher Befruchtung und grosser medizinischer Fortschritte haben wir auch gelernt, das Leben selbst, zumindest in einem bestimmten Ausmass, zu kontrollieren. Aber dem Tod gegenüber sind wir immer noch machtlos.
Paradoxerweise gehört zu unserer gewonnenen Kontrolle über das Leben auch das Töten. Inzwischen wird laut Statistik in Deutschland jedes vierte Kind abgetrieben. So sieht unsere Kontrolle über das Leben aus. Wir entscheiden, ob ungeborenes Leben stirbt oder leben darf. Wie kann es sein, das wir den Tod so sehr hassen, aber gleichzeitig jedes vierte ungeborene Kind töten?
Weil uns unser eigenes Leben wichtiger ist, als das des Ungeborenen? Vielleicht -aber sicher auch, weil uns das Töten hier so einfach gemacht wird. Der „Fremdkörper“ wird unter der sanften Hand der Narkose einfach entfernt. Man wacht nach dem Eingriff auf und die Angelegenheit ist vergessen, das eigene Leben kann wie gewohnt weiter gehen. Wir haben also kein Problem mit dem Tod, sofern er sich nicht vor unseren Augen abspielt. Würden wir uns aber auch so schnell für das Töten eines Kindes entscheiden, wenn das Gesetz von uns verlangen würde, die Ãœberreste des Ungeborenen mit eigenen Augen sehen zu müssen? Oder wenn wir gezwungen wären, sie bestatten zu müssen? In einem Sarg, der dann kaum grösser wäre, als eine Zigarettenschachtel?
Je mehr Kontrolle wir über das Leben gewinnen, desto mehr wird uns bewusst, das der eigene Tod -oder der Tod geliebter Menschen- etwas ist, das sich unserer Kontrolle entzieht. Wir sind machtlos. Und anstatt das zu akzeptieren und deshalb als natürlichen Teil des Lebens hinzunehmen, verdrängen wir ihn lieber und sind froh, wenn es uns (noch) nicht trifft. Im Verdrängen ist die menschliche Spezies überaus begabt.
Unser Körper kennt den Tod nicht
Es ist kein Wunder, das es uns so schwer fällt, den Tod zu verstehen: unser eigener Körper ist durch und durch auf Leben programmiert. Jeder einzelne Atemzug erinnert uns daran. Der angeborene Überlebensinstinkt ist einer der stärksten menschlichen Triebe. Jede einzelne Zelle unseres Körpers will leben. Und das müssen wir in biologischer Hinsicht auch. Denn nur wer lebt, pflanzt sich fort oder kümmert sich um den Nachwuchs. Das simple Überleben ist also einer der Hauptpfeiler des biologischen Lebens. Unser Körper will uns mit aller Kraft daran hindern, zu sterben. Selbst wenn wir an einer unheilbaren Krankheit leiden, möchte unser Körper, das wir so lange wie möglich am Leben bleiben. Er kennt es nicht anders. Er kennt nur das Leben. Denn nur dort ist sein Platz. Und den möchte er sich unter keinen Umständen nehmen lassen.
Die Wissenschaft weiss nichts über den Tod
Die Medizin hat sich darauf spezialisiert, den Tod zu vermeiden, nicht ihn zu verstehen.
Nachdem wir der Religion zum ersten mal in der Geschichte der Menschheit fast vollständig den Rücken zugekehrt haben, ist da niemand mehr, der uns bei einem Todesfall oder einem menschlichen Verlust an die Hand nehmen kann. Uns erklärt, wohin der geliebte Mensch gegangen ist und welchen Sinn der Tod an sich überhaupt hat.
Stattdessen verlangen wir diese Antworten nun von der Wissenschaft. Doch die ist weit davon entfernt, sie uns auch nur annährend geben zu können. In der Medizin wird der Tod als „irreversibler Funktionsverlust des Atmungs-, Kreislauf- und Zentralnervensystems“ beschrieben. Das war’s dann aber auch schon. Die westliche Medizin hat sich gänzlich darauf spezialisiert, den Tod zu vermeiden, nicht ihn zu verstehen. Sie sieht ihn als Feind und wer die Grenze zum Jenseits einmal überschritten hat, ist kein Fall für die Medizin mehr. Sie kann uns hier also auch nicht weiterhelfen, uns nicht erklären, was der Tod eigentlich ist, was mit einer „Seele“ (sofern es sie denn aus medizinischer Sicht gäbe) nach dem Tod passiert oder was eine Nahtod-Erfahrung ist -die ja von vielen Mediziniern immer noch konsequent geleugnet werden, obwohl ihnen Patienten fast täglich von solchen Erfahrungen berichten.
Wie geht man also richtig um mit diesem Thema? Wie schafft man es trotzdem, sich mit dem Tod anzufreunden? Dazu mehr auf der nächsten Seite…
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