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Meuterei auf der Bounty: Was wirklich geschah

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Peitschenhiebe

An diesem Sonntag muss Bootsmannsmaat James Morrison zum ersten mal einen Matrosen auspeitschen.

Nach gut drei Monaten auf See nähert sich die Bounty der Küste Brasiliens. Hundert Tage schrubben, tanzen, Sauerkraut. Die fortschrittlichen Ideen des Commanders gehen einigen bereits ebenso auf die Nerven, wie die Enge an Bord. Blighs gute Vorsätze scheitern schon bald. Wie jeden Sonntag überprüft Bligh auch am 2. März 1788 persönlich die Hygiene seiner Crew. Ob Lob oder Tadel, Bligh ahnt selten die Wirkung seiner Worte – weder auf den nachlässigen, trunksüchtigen Schiffarzt, noch auf den Steuermann John Fryer.

Während des sonntäglichen Appels befördert Bligh in einem Atemzug Fletcher Christian zum Ersten Offizier und seinem Stellvertreter, während er den Seemann Matthew Quintal aufgrund seiner „anhaltenden Aufsässigkeit“ zu zwei dutzend Peitschenhieben verurteilt.

Dennoch gibt es keinen Beleg dafür, das Bligh ein „Tyrann“ war. James Cook etwa liess seine Leute viel öfter auspeitschen, als Commander Bligh. Bligh war dagegen eher milde eingestellt, was körperliche Züchtigung angeht – und einige Experten sind heute sogar der Meinung, es wäre ihm besser ergangen, wenn er mehr auf die Peitsche gesetzt hätte.

An diesem Sonntag muss Bootsmannsmaat James Morrison zum ersten mal einen Matrosen auspeitschen. Bligh vermerkt das in seinem Logbuch als „Niederlage“. Peitschenhiebe und Skorbut, beide haben für ihn auf einem gut geführten Schiff nichts verloren. Historiker haben Blighs Strafmassnahmen untersucht: er lag mit durchschnittlich 1,5 Peitschenhieben pro Mann weit unter anderen Kapitänen, die meist zwanzig bis fünfzig Hiebe verhängten.

Die Stimmung kippt

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William Bligh

Ende März gerät die Bounty in schwere See. Drei Wochen lang schwappt das Wasser in die Unterdecks. Im Logbuch der Bounty findet sich der Eintrag: „Ich habe allen Grund zur Feststellung, dass Mannschafft und Schiff leiden, und es wird sehr rasch die Entscheidung fallen müssen“.

Nach dreissig Tagen Sturm gibt Bligh den direkten Weg nach Tahiti auf und lässt abdrehen, mit Kurs auf Afrika. Aus Kapstadt schreiben zwei Kadetten begeisterte Briefe über ihren Captain in die Heimat. Doch die Stimmung kippt, als die Bounty, auf den Spuren Captain Cooks, in die Adventure Bay in Tasmanien einläuft. Bligh ist frustriert. Seit Cooks Tod hat er es trotz seines Talents nicht einmal zum Kapität gebracht. Ihm fehlt die adlige Herkunft eines Fletcher Christian.

Zimmermann William Purcell tritt schliesslich in den Streik. Zurück an Bord muss Bligh sich eingestehen, dass ihm kaum Möglichkeiten zur Bestrafung bleiben. Als Offizier ist Purcell vor körperlicher Züchtigung durch das Seerecht geschützt. Bligh müsste ihn in Ketten legen und vors Kriegsgericht bringen. Doch er kann auf keinen Mann verzichten – erst recht nicht auf den Zimmermann. Ein Dilemma, das allen an Bord bewusst wird, während sie die „Verwarnung“ an Purcell unterschreiben.

Bootsmannsmaat James Morrison notiert an diesem Abend in sein Tagebuch: „In der Adventure Bucht wurde die Saat ewiger Zwietracht gesät und es ist nichts anderes als die Wahrheit, wenn ich sage, zwischen Kapitän Bligh und allen anderen Offizieren überhaupt.“

Ankunft im Paradies

Am Ende werden sich 39% der Besatzung mit Geschlechtskrankheiten infiziert haben.

Nach gut 28.000 Meilen und gut neun Monaten auf See erreicht die Bounty am 26. Oktober 1788 Tahiti. Die Mannschaft jubelt. Alle Fälle von Skorbut sind bezeichnenderweise rasch geheilt. Man läuft schliesslich nicht jeden Tag ins „Paradies“ ein. Die Bounty erreicht Tahiti kurz vor Beginn der Regenzeit. Im Gegensazu zu seinen Männern ist Bligh deshalb schon jetzt klar, dass ihnen „volle fünf Monate im Paradies“ bevorstehen.

Die Bounty soll mindestens 600 Schösslinge der Brotfrucht in die Karibik bringen. Auf deren Wachstum muss Bligh warten. Und den Häuptlingen wird er diplomatisch klar machen müssen, das sie die Pflanzen der englischen Krone „zum Geschenk“ machen sollen. Dreiundwzanzig Wochen sollte die Bounty vor Tahiti ankern. Nach fast zehn Monaten auf See fallen den Männern der Bounty die „süssen Früchte“ in den Schoss: am Ende werden sich 39% der Besatzung mit Geschlechtskrankheiten infiziert haben – die höchste Rate, die je ein Schiff im Südpazifik verzeichnete.

William Bligh dürfte der einzige aus der Besatzung gewesen sein, der noch Gedanken vergeudete an das „kalte, vereinigte Königreich“. Die anderen sind gänzlich verzückt von den Frauen Tahitis. Die unbekannte sexuelle Freiheit und das freie Inselleben werden zum süssen Gift für die britischen Seeleute. Es gab immer Desertationen im Südpazifik. Auf jedem Schiff, besonders vor Tahiti. Die Menschen dort waren sehr gastfreundlich, das Klima angenehm. Trotzdem gab es dort nicht auf allen Schiffen gleich eine Meuterei.

Kadett Heywood legt ein Wörterbuch des Tahitianischen an, drei Männer desertieren, im Müssiggang lässt man sogar den Schiffschronometer ablaufen. Im Logbuch schäumt Bligh über „diese nichtswürdigen Unteroffiziere“, die sich tätowieren lassen, statt Wache zu schieben. Nur Botaniker Nelson bleibt seiner Mission treu. Immer mehr eingetopfte Pflanzen füllen das Baumschul-Zelt und auch Gärtnerassistent William Brown blüht auf. In England als „Narbengesicht“ beschimpft, wird er genau deshalb hier verehrt: Narben gelten auf Tahiti als Zeichen des Mutes.

Doch auch wenn Bligh in seinem Logbuch notiert, seine Offiziere hätten ihn zum „äussersten getrieben“, nennt er nur Steuermann Fryer und Zimmermann Purcell als Missetäter. Alle anderen Namen scheinen wie getilgt. Die jungen Herren gelten als Zöglinge einflussreicher Gönner. Hat Bligh deshalb das Logbuch manipuliert?

Alle nachträglich eingefügten Seiten zeigen nicht nur andere Wasserzeichen mit drei statt zwei Ringen unter der Krone. Auch die Buchstaben, die Papierhersteller damals wie eine Signatur benutzten, sind nur auf diesen Seiten anders. Damit steht fest, das Bligh nachträglich Seiten eingefügt hat.

Völlig offen bleiben allerdings die Fragen: wann genau? Wo? Und warum?

Auf der nächsten Seite – Nervenzusammenbruch und Meuterei.

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