Gesellschaftskritik

Das Märchen vom Multitasking

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Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten  11.136 mal gelesen

Manche Märchen halten sich über Jahrzehnte. Das Spinat besonders viel Eisen enthält zum Beispiel (Weizenkleie enthält mehr als sechsmal so viel). Oder die nervige Mär von den Multitaskingfähigen Frauen. Nervig deshalb, weil es auf jeder Party oder jedem geselligen Abend mindestens eine weibliche Person gibt, die das stolz von sich behauptet. Irgendeine liefert immer. Also nehmen wir diesen Mythos mal genau unter die Lupe.

Zugegeben: es sind nicht nur Frauen, die mit dem Aberglauben an die mythische Fähigkeit des Multitaskings infiziert wurden. Ein weiterer Menschenschlag, der sehr davon überzeugt ist, trägt in der Regel Krawatte, sitzt in einem Büro, erstellt Präsentationen und hat ständig das Handy am Ohr. Es erscheint eigentlich logisch: je hektischer und komplexer eine Gesellschaft wird, je höher der Arbeits- oder Termindruck, desto mehr Dinge müssen eben gleichzeitig erledigt werden. Doch funktioniert das überhaupt?

Was ist überhaupt Multitasking?

Der Begriff Multitasking stammt eigentlich aus der Informatik und bezeichnet die Fähigkeit eines Betriebssystems, mehrere Dinge scheinbar gleichzeitig zu erledigen. Auf den Menschen übertragen bedeutet dieser Begriff die gleichzeitige Erledigung mehrerer Aufgaben und Tätigkeiten.

Hier ist es durchaus interessant zu wissen, das nicht einmal ein Betriebssystem wirklich mehrere Dinge „gleichzeitig“ erledigt. Es wechselt nur in sehr schneller Folge, je nach verfügbarer Rechenleistung, von einer Aufgabe zu einer anderen. Und das eben so schnell, das es wirkt, als würden mehrere Aufgaben gleichzeitig abgearbeitet.

Funktioniert das beim Menschen?

Eindeutig nein. Und hier sind sich sowohl Psychologen, als auch Wissenschaftler anderer Disziplinen einig. „Der Mensch kann eigentlich nur eine Sache auf einmal machen“, meint z.B. Psychologe Prof. Rainer Wieland von der Bergischen Universität Wuppertal. „Müssen wir zeitgleich verschiedene Informationen verarbeiten, wechseln wir bewusst oder unbewusst zwischen den Reizen hin und her.“

Aha -wir verhalten uns dann also wie ein Betriebssystem und wechseln blitzschnell von einer Aufgabe zu einer anderen. Das Dumme ist nur: wir sind keine Computer. Beim Wechsel von einer Aufgabe zu einer anderen benötigt der Menschen eine gewisse Zeit, um seine Aufmerksamkeit wieder zu bündeln -wenn das überhaupt gelingt, da wir ja geistig immer noch mit der ersten Aufgabe beschäftigt sind, bis wir diese abgeschlossen haben. Im Klartext heisst das also: man kann sich zwar zwei Dingen gleichzeitig widmen, arbeitet diese Aufgaben dann aber nur mit der halben Aufmerksamkeit und Konzentration ab!

Und dieser Unterschied ist wichtig. Denn er besagt, das Multitasking zwar prinzipiell funktioniert, allerdings nur bei Aufgaben, die keine Entscheidungen und besondere Konzentration verlangen. Mit anderen Worten: bei Aufgaben, die im Grunde auch ein dressierter Affe erledigen könnte* (* diesen Abschnitt bei der nächsten Party am besten der dort anwesenden Multitaskerin vortragen).

„Wir machen Dinge nicht gleichzeitig. Es ist tatsächlich so, dass wir zwischen den kognitiven Prozessen binnen hundert Millisekunden oder weniger hin- und herschalten. Das bedeutet, wir fällen Entscheidungen hintereinander und unser Gehirn kann sich immer nur auf eine Aufgabe konzentrieren. Dabei können wir durchaus mehrere Sachverhalte parallel wahrnehmen: Sobald wir jedoch nicht nur wahrnehmen, sondern auch reagieren müssen, scheitert jeder Versuch von Gleichzeitigkeit.“, meint Prof. Wieland.

Der Neurowissenschaftler Torsten Schubert von der Ludwig-Maximilian-Universität München erklärt dazu: „Einfache Informationen können gleichzeitig wahrgenommen werden, Entscheidungen hingegen können nicht gleichzeitig gefällt werden.“

Sind Frauen Multitaskingfähiger als Männer?

Auch wenn sich in Deutschland Frauen und Männer gerne gegenseitig die Köpfe einschlagen und jedes Geschlecht inzwischen der Meinung ist, es wäre dem anderen überlegen -die Wahrheit ist: die Natur hat sich etwas dabei gedacht, als sie Männlein und Weiblein schuf. Nämlich das es effizienter ist, die Schwächen eines Individuums durch ein gegensätzliches Individuum zu ergänzen, als alle Energie darauf zu verwenden, ein Individuum mit bestimmten Eigenschaften zu entwickeln, das dann auch nur ganz bestimmten Situationen gewachsen wäre.

Im Klartext: Mann und Frau ergänzen sich in diesem Thema einander, wie in fast allen anderen Bereichen auch: während es Frauen leichter fällt, sich mehreren Aufgaben parallel, dafür aber eher oberflächlich, zuzuwenden, besitzt der Mann die Fähigkeit, sich intensiv auf hochkomplexe und abstrakte Themen zu fokussieren. Wenn es also darum geht, den Kühlschrank auszuräumen während man am Handy mit der Freundin telefoniert: eins zu null für die Frauen. Geht es aber um die Geschäftsbuchhaltung, die Steuererklärung oder eine wissenschaftliche Problemlösung, sind Männer hier von Natur im Vorteil.

„Von Natur aus“ heisst hier allerdings nicht, das man diese Fähigkeiten nicht trainieren könnte -und genau das tun wir auch, von Kindheit an. Während Mädchen meist so erzogen werden, das Tiere, Kinderbetreuung (Puppen) oder soziale Kontakte im Vordergrund stehen, gibt man Jungs oft ein technisches Spielzeug in die Hand, das einer höheren Konzentration bedarf. In beiden Fällen ist das zwar von den Eltern gut gemeint -wer sein Kind aber nicht nur zu einem stereotypen Mann oder einer Klischee-Frau erziehen möchte, sollte dafür sorgen, das das Kind sowohl Gelegenheit zu sozialen Kontakten und schnellen Reizwechseln (wie z.B. in einer lebhaften Unterhaltung) hat, aber auch die Möglichkeit, sich intensiv und konzentriert mit einer Sache zu beschäftigen (beispielsweise mit einem Puzzle, einem Schiffsmodell oder dergleichen).

Bringt Multitaskingfähigkeit Vorteile im Beruf?

Mehrere Reize parallel wahrzunehmen ist eine Frage der Übung. Das Parallelkonzept funktioniert aber nicht mehr – bei Männern wie Frauen – wenn Entscheidungen getroffen oder Konsequenzen gezogen werden müssen. Jede einzelne Entscheidung muss dann bewusst und nacheinander getroffen werden. Auch sobald eine ungewöhnliche Information unsere Routinetätigkeit durchkreuzt, halten wir inne und konzentrieren uns nur darauf. So hören wir beispielsweise auf zu essen, wenn wir eine wichtige Nachricht von unserem Telefonpartner erfahren.

Multitasking ist nur vordergründig effizient, effektiv ist es nicht. Da wir ständig zwischen verschiedenen Aufgaben wechseln müssen, bedeutet das sogar eine Verlängerung der Bearbeitungszeit einer Aufgabe. Bei komplexen Aufgaben führt Multitasking sogar zu einer höheren Fehlerquote und vermeidbaren Zeitverlusten. Wenn man nur für drei Minuten aus einer Aufgabe herausgerissen wird oder sich selber einer neuen Aufgabe zuwendet, braucht man zwei Minuten, um wieder am gleichen Stand wie vorher zu sein. Wird man sehr häufig unterbrochen, beziehungsweise lässt man sich selbst gerne ablenken, können sich die „verlorenen“ Minuten auf bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit potenzieren.

Das Schlimme ist: gerade jene Personen, die gerne mit ihrer Multitaskingfähigkeit kokettieren, merken oft selbst gar nicht, das sie im Grunde schludrig arbeiten, da sie es oft gar nicht mehr gewohnt sind, einer Sache ihre volle und ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen.

 

Fazit: wirkliches Multitasking gibt es nicht. Wer zwei Dinge gleichzeitig macht, tut dies nur mit der halben Aufmerksamkeit. Und Entscheidungen können so überhaupt nicht getroffen werden, dafür braucht es volle Aufmerksamkeit. Nur bei anspruchslosen Aufgaben gelingt ein schneller Wechsel -und hier den Frauen in der Regel besser, als den Männern. Wobei die Männer allerdings punkten, wenn es um volle Konzentration geht.

Seltsam? Aber so steht es hier geschrieben... Ihr habt Fragen, Anregungen oder vielleicht sogar eine völlig andere Meinung zu diesem Artikel? Dann postet einen Kommentar.

Mike vom Mars Blog - mike-vom-mars.comAutor: Mike vom Mars
Mike emigrierte vor einigen Jahren von seinem Heimatplaneten auf die Erde, um das Leben am wohl seltsamsten Ort des Universums zu studieren. Seiner Bitte "bringt mich zu eurem Führer" wurde bisher nicht entsprochen.


 
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Neueste Kommentare

  1. Die Brüstung mit dem Multitasking-Gen, sollte eigentlich schon vollständig out sein. Schließlich ist Achtsamkeit der absolute Trend.

    Sieht man es von einer anderen Seite, wird die Sehnsucht nach Multitasking weiterhin wachsen. Die Kanäle, welche unserer Aufmerksamkeit fordern, werden immer mehr. Gepaart mit der Illusion nach Perfektion… Oh Weiher… Wie wird das wohl Enden.

  2. Wäre schön, wenn Achtsamkeit der neue Trend wäre – aber wo ich hingucke, ich sehe nur noch Menschen, die bei jeder Alltagstätigkeit mit einer Hand WhatsAppen: ob beim Warten auf den Bus, während dem Gehen oder sogar beim Geschirrspülen :-o

    Die Kultur des Alten Japan könnte uns hier ein Vorbild sein: die Teezeremonie, die demonstriert, wie man selbst banale Tätigkeiten mit voller Konzentration und Hingabe ausführt, sie zur Perfektion macht, bis hin zur kleinsten Bewegung. Oder japanische Zen Klöster, in denen der Novize stundenlang den Boden auf Knien wischt. Nicht der Sauberkeit wegen, sondern um zu lernen, sich NUR auf das zu konzentrieren, was er gerade tut. Nur auf den Augenblick. Die Gegenwart. Diesen einen Punkt im Jetzt.

  3. Das ist das absolut blödeste was ich je unter "wissentschaftlich" zu diesem Thema gehört habe. Wenn Frauen nur oberflächlich mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen könnten wäre es nicht möglich ein Essen zuzubereiten, gleichzeitig aufzupassen was die Kleinkinder währenddessen tun und während dessen auch noch die Waschmaschine leeren ohne dass das Essen anbrennt oder die Kinder sich verletzen. Ausserdem machen in meinem Freundeskreis, sowie ich, die Frauen die Steuererklärung. Es ist schon ein Kampf die Männer wenigstens dazu zu bekommen einiger Maassen Ordnung in den Papieren zu halten.

  4. Du hast den Artikel dann aber nicht aufmerksam gelesen (wahrscheinlich hast du gerade etwas nebenbei gemacht?) :)

    Die Aussage ist nämlich nicht, das man nicht mehrere Dinge gleichzeitig machen könne (schliesslich schafft man es ja auch, gleichzeitig zu gehen und zu atmen), sondern das man sich nur einer Aufgabe mit voller Konzentration widmen kann oder eben mehreren, welche dann eben keine oder nur wenig Konzentration erfordern.

    Kochen und die Waschmaschine leeren sind keine geistig anspruchsvollen Aufgaben und können ohne weiteres gleichzeitig erledigt werden. Kommt dann aber noch die Buchhaltung hinzu, würde ich mir Sorgen um eine korrekte Bilanz machen.

    Da Menschen mittlerweile aber eh nur noch eine Aufmerksamkeitsspanne von 8 Sekunden haben (ein Goldfisch bringt es immerhin auf 9 Sekunden), sollte man mit seiner Konzentration sorgsam umgehen und sie nicht auf mehrere Tätigkeiten verteilen.

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