Russland hat diesen Krieg bereits verloren. Nicht unbedingt militärisch, da könnte es das Blatt mit viel Glück noch wenden, politisch aber auf jeden Fall. Warum?
Vor 200 Jahren schrieb Carl von Klausewitz: “Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik, nur mit anderen Mitteln”. Das bedeutet: Krieg ist kein Selbstzweck, er dient politischen Zielen. Dabei ist es umgekehrt auch durchaus möglich, dass man auf dem Schlachtfeld erfolgreich ist, bei der Umsetzung seiner politischen Ziele aber vollständig versagt oder sogar Rückschläge erleidet.
Was wollte Putin erreichen?
“Russland Softpower ist nun völlig kollabiert.”
Was waren Putins und Russlands politische Ziele, um diesen Krieg zu beginnen? Laut Putin sollte die NATO-Bedrohung verringert und Russlands Westgrenze gesichert werden. Doch was ist nun das Ergebnis? Die NATO erhält zwei weitere, sehr starke, Mitglieder und verlängert die gemeinsame Grenze mit Russland um stolze 1340 Kilometer. Murmansk, die größte Stadt der Welt, die nördlich des Polarkreises liegt und der Heimathafen einiger Atom-U-Boote und allen Atom-Eisbrecher Russlands, ist nur 100 km von der finnischen Grenze entfernt. Gleichzeitig ist die gesamte Verbindungslinie zwischen Murmansk und St. Petersburg praktisch auf der gesamten Länge ebenfalls nur 100 km von der finnischen Grenze entfernt und damit de facto in der Reichweite von z.B. HIMARS-Systemen der NATO.
Die Ostsee wird damit nun endgültig zu einem NATO-Meer. Abgesehen von Russland ist nun jeder Anrainer der Ostsee ein Mitglied der NATO. Die russischen Marine Operationen sind in einem Kriegsfall gegen die NATO nicht mehr möglich, gleichzeitig ist die NATO revitalisiert. Sie hat nicht nur zwei neue, starke Mitglieder bekommen, die Verteidigungsbudgets steigen überall, sie explodieren geradezu. Großbritannien hat gerade praktisch angekündigt, bis 2030 sein Verteidigungsbudget verdoppeln zu wollen und es auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung anzuheben. Deutschland hat sich zu zwei Prozent verpflichtet und will es nun dieses Mal tatsächlich umsetzen. Polen hingegen rüstet in einem Maße auf, dass man langsam glauben könnte, dieses Land möchte es ganz alleine mit Russland aufnehmen.
Woran ukrainische Präsidenten drei Jahrzehnte lang gescheitert sind, hat Putin nun plötzlich geschafft: er hat eine ukrainische Schicksalsgemeinschaft geschaffen, eine Allianz von Ländern mit gemeinsamen Gründen, sich gegen den Aggressor Russland zu verteidigen. Selbst die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine, beginnt nun, zuhause Ukrainisch zu sprechen, was vorher nicht deren Muttersprache war. Aber um nichts in der Welt möchte man mehr etwas mit diesem Aggressor zu tun haben, der sich über jedes internationale Völker- und Kriegsrecht hinwegsetzt und schreckliche Kriegsverbrechen begeht, selbst an der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine, die man ja eigentlich “befreien” wollte.
2014 war Russland noch der große Bruder. Nun ist es der Erzfeind. Wenn Putin über die Ukraine an strategischer geopolitischer Tiefe gewinnen sollte, so doch unter Inkaufnahme eines breiten Streifens feindlich gesinnter Bevölkerung und unter einer Verlängerung des direkten Kontakts zur NATO und einer politischen Isolation zum Rest der Welt. War das den Preis in irgendeiner Weise wert?
Russland Softpower ist nun völlig kollabiert. Es hat fast keine Verbündeten mehr. Seine Verbündeten beschränken sich jetzt auf zweifelhafte “Freunde” wie Nicaragua, Nordkorea, Syrien, Kuba, Belarus und Eritrea. Allesamt Kellerkinder, die Parias des Planeten Erde. Das war’s. Das sind die Staaten, die aktuell für Russland stimmen im UN-Sicherheitsrat. Gleichzeitig hat Russland sich als potenzieller Bündnispartner Chinas vollständig diskreditiert. Es ist nicht mehr der “starke Partner im Norden”, sondern nur noch der kleine Bruder, der sich ständig in Trouble begibt. Ein Schatten seiner selbst. Es dient China nun nur noch als Rohstofflieferant, für etwas anderes ist es für China nicht mehr zu gebrauchen.
Russlands Gegenstück zur NATO, die CSTO ist nun ebenso faktisch tot. Kasachstan schaut sehnsüchtig in Richtung China und will die Gunst der Stunde, die offenbarte russische Schwäche, nutzen um sich aus dem russischen Einflussbereich zu lösen und die chinesische Nähe zu suchen. Armenien, bisher de facto ein russischer Klientelstaat, dankt nun den USA, und nicht etwa Russland für den ausgehandelten Waffenstillstand mit Aserbaidschan. Auch hier hat Russland bewiesen, dass der Zusammenhalt der CSTO nicht das Papier wert war, auf dem die Partner unterschrieben haben.
Keine Großmacht mehr
“Russland gibt seine Absatzmärkte und Haupteinnahmequellen auf.”
Russland kann jetzt zwar die Öl- und Gasleitungen abstellen, aber damit sorgt es dafür dass die Länder, die damit von einer Knappheit betroffen sind, sich Alternativen suchen und neue Versorgungsnetze aufbauen Für den kurzen Erfolg gibt Russland seine Absatzmärkte und Haupteinnahmequellen auf. Was für eine Dummheit!
Man muss konstatieren, dass Russland nun endgültig keine Großmacht mehr ist – wenn es das jemals war. Vor dem Krieg hatte Russland noch spürbare Softpower, sein Militär wurde gerne international als das “zweitstärkste Militär der Welt” bezeichnet. Jetzt lässt es sich von den Ukrainern schlagen. Russland war einst der wichtigste globale Waffenexporteur nach den USA. Nun wird wegen Eigenbedarfs die Produktion in weiten Teilen wahrscheinlich ausfallen, gleichzeitig ist die Produktion dadurch gefährdet, dass keine Komponenten mehr aus dem Westen geliefert werden. Zudem hat die Performance der russischen Waffen nicht gerade verkaufsfördernd gewirkt. Die ganze Welt konnte quasi dabei zusehen, wie die Waffensystem der NATO sich denen Russlands als haushoch überlegen erwiesen haben. Die Sanktionen werden ebenfalls dazu führen, dass potenzielle Kunden Russlands dort nichts mehr kaufen werden. Indonesien war beispielsweise vor dem Krieg an einem Kauf russischer Suchois Su-35 interessiert, doch wegen der Sanktionen gegen Russland entschied man sich dort nun für ein westliches Modell.
Russland kann man allenfalls noch wegen seiner Kernwaffen und wegen seines Sitzes im Weltsicherheitsrat als Großmacht bezeichnen. Aber auch Indien, Pakisten und Nordkorea verfügen über Nuklearwaffen – würde man diese deshalb als “Großmächte” bezeichnen? De facto ist Russland also in keinerlei Hinsicht mehr weder eine militärische, noch wirtschaftliche, noch politische Großmacht mehr.
Zusammengefasst muss man also sagen: Russland mag die Ukraine noch niederwerfen können, notfalls durch den Einsatz von Kernwaffen. Politisch aber hat es den Krieg bereits verloren und schon jetzt seine geopolitische Situation dramatisch verschlechtert. Russland hat nun endgültig offenbart, dass es die NATO als Feind sieht und die NATO hat diese Herausforderung und Bedrohung – und damit den Fedehandschuh – aufgenommen.
Es bleibt kein anderer Schluss, als dass dieser Krieg eine absolute Katastrophe für die russische Position und eine gewaltige Verschlechterung der eigenen Position ist. Selbst im Falle eines militärischen Sieges ist dies politisch nicht anders, als mit einer Niederlage zu bewerten. Auch Innenpolitisch brodelt es nun im vorher ruhigen Russland. Die normalerweise leicht zu unterdrückenden, weichgespülten und unkritischen Russen fangen nun an, aufzubegehren. Gerade unter den ethnischen Minderheiten in Russland, deren Männer in der Ukraine überproportional verheizt wurden, kocht es nun gewaltig.