Kreatives

Die japanische Kunst des Haiku

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Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die als die kürzeste der Welt gilt. Ein Haiku besteht aus drei Zeilen und genau siebzehn Silben. Das Haiku versucht, einen besonderen Moment, eine bestimmte Erfahrung, eine Stimmung oder ein Element der Natur so treffend und perfekt zu beschreiben, das beim Lesen ein möglichst intensives Gefühl entsteht.

Haiku sind so einfach aufgebaut, das man sich überall eines einfallen lassen kann: in der S-Bahn, an der Bushaltestelle, im Wartezimmer, beim Einschlafen – oder eben in einem Moment, den man mit einem Haiku festhalten möchte.

Die Kunst des Haiku stammt ursprünglich aus Japan. Sie bestehen traditionell aus drei Zeilen, wobei die erste Zeile fünf Silben, die zweite sieben Silben und die dritte Zeile wieder fünf Silben haben soll. Mit „Silben“ ist eigentlich ursprünglich eine japanische Lauteinheit gemeint. Nun kann man aber eine „japanische Lauteinheit“ nicht direkt als eine europäische Silbe sehen. Deshalb haben sich hier bei uns verschiedene Stile des Haiku entwickelt, die auch mehr oder weniger Silben zulassen.

Wir wollen das ganze aber nicht verkopfen und verkomplizieren. Schliesslich geht es hier darum, ein Gefühl oder eine Stimmung einzufangen, nicht um einen Grammatikwettbewerb. Wir fokussieren uns also auf ganz einfache, wenige Regeln -ansonsten ist alles erlaubt:

Ein Haiku besteht aus drei Zeilen mit 5-7-5 Silben.

Die erste Zeile enthält also fünf Silben.

Die zweite sieben.

Die dritte wieder fünf.

Unverzichtbarer Bestandteil von Haiku sind eigentlich Konkretheit und der Bezug auf die Gegenwart, vor allem auf die Natur oder die Jahreszeit. Aber selbst daran muss man sich nicht unbedingt halten – denn in Kunst und Kreativität zählt nur die Schönheit, weniger die starre Form. Ausserdem sind die Zeiten des starren Konformismus im Alten Japan vorbei. Heute darf alles etwas „lockerer“ sein.

Du kannst in deinem Haiku Satzzeichen benutzen, um den Leser zu dramatischen Pausen zu zwingen oder den Sinn deines Gedichts klarer herauszustellen. Du kannst aber auch darauf verzichten.

Wenn dir also das nächste mal langweilig ist, du deinen Geist beschäftigen möchtest, einen bestimmten Moment oder ein Gefühl festhalten willst – oder einfach nur die witzige Herausforderung liebst, etwas in 5-7-5 Silben und drei Zeilen zu packen – dann versuch‘ es mal mit einem Haiku! Du wirst merken, das es dir von mal zu mal leichter fällt.

Einige Beispiele

Ein Haiku kann ein bestimmtes Gefühl ausdrücken, wie zum Beispiel das der Liebe oder Sehnsucht:

Unter dem Kirschbaum
da saßen einst zwei Herzen.
Eines sitzt noch dort.

Ein Haiku kann eine Naturszene oder Jahreszeit beschreiben:

Stille auf dem Feld
Dunkle Wolken ziehen auf
Ruhe vor dem Sturm

Oder auch nur die Beschaulichkeit und das Gefühl eines Augenblicks festhalten:

Gebäck auf dem Tisch
Draussen leichte Dämmerung
Nachmittagstee

Ein Haiku kann auch scherzhaft und völlig profan sein:

Ein roter Teppich.
Zahlreiche lächelnde Stars.
Blitzlichtgewitter.

Haiku Gedichte können auch eine Meditation sein. Der zen-buddhistische Laienmönch Matsuo Bashô verbrachte einen großen Teil seines Lebens Haiku dichtend. Mittellos und auf der Suche nach der ewigen Erleuchtung, war für ihn die Dichtkunst eine Möglichkeit in die Meditation der Sprache einzutauchen.

Nichts als Stille!
Tief in den Felsen sich gräbt
Schrei der Zikaden

Matsuo Bashô

Haiku: Gefühl – Moment – Meditation

Haiku DichterInnen sind so gesehen Minimal Art Künstler der Sprache.

Haiku Gedichte sind zarte Aquarelle, die mit den Farbnuancen der Worte zu Papier gebracht werden. Haiku Dichter und Dichterinnen bedienen sich dieser kürzesten Form der Dichtkunst, die wir in der Literaturgeschichte kennen, um Gefühle, Gedanken, Erkenntnisse, Naturimpressionen und Fantasien zu Papier zu bringen. Übertragen auf die Bildende Kunst haben wir es beim Haiku mit einen Minimal Art in der Lyrik zu tun.

Haiku DichterInnen sind so gesehen Minimal Art Künstler der Sprache. Mit dezent platzierten Worten, verteilt auf die drei Zeilen der Haiku Kulisse, gelingt es ihnen in der Tradition der alten Meister ihre inneren Klangwelten nach außen in Sprache zu transportieren. Nicht gerade eine einfache Aufgabe in einer Welt, in der die vielen Worte so viel bedeuten, das Wenige aber übersehen wird. Einer Welt, in der die Lauten das Sagen haben und die leisen Worte verschwinden.

Ein Haiku reduziert den Augenblick auf das absolut wesentliche. Jeder Ballast, alle Schnörkel werden weggelassen. Was bleibt, ist der pure Kern. Die Reinheit. Die Essenz.

Die Geschichte des Haiku

Das Haiku ist vermutlich eine der ältesten Dichtformen, die wir in der Literaturwissenschaft kennen. Seit etwa 1600 Jahren wird in Japan diese Dichtung gepflegt. Dabei sind die Ursprünge dieser Dichtkunst nicht unbedingt identisch mit dem Haiku, das wir heute kennen.

Das Wort „Haiku“ bedeutet übrigens im japanischen Uta, eine Ableitung von uta-u; wörtlich übertragen bedeutet dies: Gesang. Haiku Gedichte wurden zu Beginn ihrer „lyrischen Evolution“ singend vorgetragen. Ein Hinweis darauf, dass Haiku Gedichte ein rhythmisches Klangerlebnis mit dem Medium Sprache ausdrückt.

Die japanische Dichtkunst des Haiku wurde in der Form, wie wir sie heute kennen (mit der Silbenstruktur 5 / 7 / 5) im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert aus der so genannten „Ur – Haiku – Dichtung“ entwickelt. Der direkte Vorfahre des Haiku ist die Renga Dichtung, eine Dichtzyklus auf der Grundlage 5 / 7 / 5, jedoch ohne Begrenzung der Strophen. Renga war ein Gesellschaftsspiel, das von mehreren Personen gedichtet wurde. Jeder Spielteilnehmer dichtete eine Strophe, die ein anderer beantwortete oder fortsetzte.

Wann der Begriff haiku genau geprägt wurde, ist ungeklärt. Er ist wahrscheinlich aus dem hai von Haikai no Renga und dem ku des Begriffs hokku gebildet worden. Der von China nach Japan gekommene Chan-Buddhismus (in Japan Zen-Buddhismus) beeinflusste auch die Haiku-Dichtung. Einige Haiku, die auf den ersten Blick nur Natur- oder Alltagsereignisse zu beschreiben scheinen, offenbaren auf den zweiten Blick auch eine religiöse Bedeutung.

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