Wir haben uns in den letzten Jahren mehr und mehr daran gewöhnt, in einer Welt der Grautöne zu leben. Kann man wirklich nur ein „bisschen gut“ oder ein „bisschen böse“ sein? Und wie können wir selbst feststellen, ob wir nun ein „guter“ oder ein „böser“ Mensch sind? Woran können wir uns messen und feststellen, ob unser Charakter wirklich den Kriterien eines guten Menschen entspricht?
Was ist Gut? Was ist Böse?
Nur die wenigsten Menschen können in diesen komplexen und verwirrenden Zeiten klipp und klar von sich behaupten, ein guter oder ein böser Mensch zu sein. Wer nicht gerade eine Leiche im Keller hat (wortwörtlich), wird sich wohl eher zu den Guten zählen.
Manchmal muss es aber nicht einmal Mord sein. Manchmal reicht es schon, einen Menschen so zu verletzen, das wir ihm für den Rest seines Lebens sein Selbstvertrauen nehmen, ihm eine tiefe seelische Wunde zufügen, durch Zurückweisung oder Egoismus. Wenn dieser Mensch danach nicht mehr derselbe ist, wie zuvor -was unterscheidet diese Tat dann von einem Mord?
Und gilt eine grosse, schlimme Tat mehr als unzählige kleine, die man wider besseren Wissens über lange Zeit ausübt? Und gilt es als Freispruch, wenn man eine Tat durch gesellschaftlichen Zwang begeht -weil es einem eben „so beigebracht“ wurde -Beispiel Ehrenmord?
Interessanterweise erzählen fast alle grossen Religionen der Welt von einem sogenannten Totengericht (oder Jenseitsgericht). Damit bezeichnet man die Vorstellung, nach welcher der Mensch vor ein göttliches bzw. jenseitiges Gremium gestellt wird, das seine Lebensführung beurteilt. Dies kann direkt nach dem Tod oder bereits zu Lebzeiten geschehen, in einigen Religionen auf beiderlei Weise. Die Beurteilung erfolgt meist aufgrund ethischer Maßstäbe.
Würdest du heute -jetzt, in diesem Augenblick- vor solch einem Gericht stehen und über dein Verhalten Rechenschaft ablegen müssen -was würdest du bereuen? Und, rückblickend auf dein bisheriges Leben: hast du mehr Gutes oder mehr Böses in die Welt gebracht? Wenn du dir nicht sicher bist, siehe weiter unten.
Wenn nicht wir, wer dann?
Wer nicht aktiv gegen die Missstände in der Welt vorgeht, tut im Grunde Böses.
Ein Sprichwort sagt: „wer nichts Gutes tut, tut Böses“. Damit ist gemeint, das es kein Mittelding geben kann, zwischen Gut und Böse. Denn auf dieser Welt gibt es einfach noch zu viele Menschen, die leiden, noch zu viele Kriege, in denen Menschen sterben, noch zu viele Regimes, in denen gefoltert wird, noch zu viele Tiere, die misshandelt werden, noch zu viele Menschen direkt um uns herum, die unter Einsamkeit leiden, als das wir uns zurücklehnen und nichts tun könnten, mit der bequemen Ausrede „aber ich tue doch nichts Böses“. Wer nicht aktiv gegen die Missstände in der Welt vorgeht, tut im Grunde Böses. Denn die Vision einer besseren, menschlicheren, lebenswerteren Welt braucht jeden einzelnen von uns. Das meint dieses Sprichwort.
Gerade wir, die wir in einem Schlaraffenland der Menschlichkeit leben, so viel Freizeit haben, wie sonst kein Volk auf der Welt, die nicht mehr mit dem täglichen Ãœberlebenskampf beschäftigt sind, sind dazu aufgerufen, unsere geschonten Kräfte auf die Verbesserung dieses Planeten zu richten. Und was tun wir stattdessen? Wir vergnügen uns auf Party’s, holen uns über Tinder eifrig die Chlamydien, befriedigen unsere Sucht nach Anerkennung, gehen fröhlich Shoppen oder vergeuden Stunden mit sinnlosem Geplapper auf What’s App oder Facebook.
Wir müssen uns, im Gegensatz zu anderen, nicht damit abmühen, unser Wasser aus einem drei Kilometer entfernen Brunnen in Eimern nach Hause zu schleppen. Wir haben dem Überlebenskampf etliche Stunden des Tages abgerungen -und wie nutzen wir die? Wenn also nicht wir diese Welt verändern, wer sonst?
Das eigene Gewissen
Wer beim Lesen dieser Zeilen ein klein wenig schlechtes Gewissen bekommt, hat wenigstens noch eines. Der erste Weg sollte immer sein, sein eigenes Gewissen zu befragen, das übrigens in der Regel ein sehr guter Ratgeber zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse ist -wenn wir uns nicht schon daran gewöhnt haben, es zu übertönen oder mit mehr oder weniger „logischen“ Begründungen ausser Kraft zu setzen.
„Wen ich die Ware nicht verkaufe, nimmt eben ein anderer meinen Platz ein“, ist der Standardsatz der Dealer und Waffenhändler, mit dem sie ihr eigenes Gewissen beruhigen. Wir lernen also: das eigene Gewissen ist zwar ein guter Ansatzpunkt, aber auch sehr schnell zum Schweigen zu bringen, wenn man einen gewissen Grad des Selbstbetrugs bereits erreicht hat. Dann funktioniert auch das nicht mehr.
Das tägliche Fazit
Hilfreich ist es, jeden Abend vor dem Einschlafen noch einmal Bilanz zu ziehen und sein eigenes Verhalten an diesem Tag zu rekapitulieren: habe ich heute wirklich immer so gehandelt, wie ich hätte sollen? Bei welchen Gelegenheiten ging es mir nur um den eigenen Vorteil, um die Befriedigung eigener Interessen? Habe ich (mal wieder) andere Menschen verletzt? Wo hätte ich „nein“ oder „ja“ sagen sollen? Habe ich heute die Welt zu einem besseren Ort für alle gemacht? Habe ich diesen Tag genutzt, um etwas sinnvolles zu tun?
Und: welche Möglichkeiten habe ich heute verpasst, um für andere da zu sein, etwas für andere zu tun, das nicht nur mir selbst nutzt? Wenn man es sich zur Gewohnheit macht, jeden Tag mit solch einer Introspektion (Selbstschau) abzuschliessen, entwickelt man bald ein sehr gutes Gespür für die eigenen Taten und das eigene Handeln und stärkt seinen moralischen Kompass.
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Ein echt heftiger Artikel,der viele Fragen aufwirft.Ich selbst habe mich vor Jahren für zwei Kinder eingesetzt,die von ihrer Mutter grausam und lieblos behandelt wurden.Unsere Familie gab ihnen die Zuneigung und Zuwendung,die ihnen von der Mutter versagt blieb;mehr noch wir taten alles dafür,daß die Kinder von der Mutter wegkamen,sie wären sonst zu Grunde gegangen.Während all dieser Zeit war ich mit der Mutter befreundet.Ich bin also eine Verräterin.Bin ich nun gut oder schlecht?Eine Frage auf die es keine einfache Antwort gibt.Ich habe das Vertrauen der jungen Frau mißbraucht,um den Kinder zu helfen,das hatte Priorität-und ich wäre gerne selber ihre Pflegemutter zu werden,denn ich habe die beiden sehr gern.Gab dieser egoistische Impuls den Ausschlag zu meinem Handeln?Wir hätten den Kindern gerne ein neues,liebevolles Zuhause geschenkt,doch leider wurde uns jeder Kontakt verweigert-dem Kindeswohl zu Liebe hieß es.Auch gute Taten sind irgendwie egoistisch,denn sie entspringen unserem persönlichen Bedürfnis,die Welt nach unseren eigenen Vorstellungen besser zu machen-und uns selbst glüchlicher.Ich denke,das ist nicht schlimm,denn nur wenn wir selbst etwas von ganzem Herzen wollen,können wir etwas erreichen-auch für andere.
Ich denke, du hast nach dem gehandelt, was dir zu jener Zeit als "richtig" erschien. Ob es das war oder nicht, musst du einfach selbst beurteilen.
Klar ist es schwer, objektiv zwischen "gut" und "schlecht" zu unterscheiden. Das beschäftigt Menschen ja seit Jahrtausenden. Unser Urteilsvermögen entspringt meist unserer Erziehung, unserer Kultur, dem Zeitgeist, irgendwelchen Religiösen Büchern – oder sogar nur unseren Hormonen. Was uns heute gut erscheint, kann uns in zehn Jahren Kopfzerbrechen bereiten, wenn wir wieder etwas reifer geworden sind und anders über manches denken. Unser Gewissen wächst mit unserer Erfahrung. So ist das auch gewollt. Wer nie Fehler macht, lernt ja nichts.
Wenn man sich seiner Taten nicht sicher ist, hilft es deshalb oft, einige Jahre später noch einmal darüber nachzudenken. Erscheint es dann immer noch als das Richtige, hat man eben nach seinem besten Wissen und Gewissen gehandelt. Wenn stattdessen aber Gewissenbisse zwicken, hat man mittlerweile dazu gelernt und wird das nächste mal anders handeln.
Egoismus an sich ist übrigens nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Wer sich zum Beispiel im Leben erst einmal mit sich selbst beschäftigt und versucht, sein eigenes Potential, seine Stärken und Schwächen zu erkennen, anstatt sich immer gleich in einer Beziehung zu verlieren oder für andere aufzuopfern, ist für die Welt später ein nützlicherer Gewinn, als ein Mensch, der IMMER nur für andere da war, aber dadurch nie wirklich zu sich selbst finden konnte. Die meisten großen Persönlichkeiten der Geschichte haben zuerst einmal Jahre dem Alleinsein gewidmet, bevor sie die Welt verändert haben.
"Gesunder" Egoismus kommt irgendwann wieder der Welt zugute. Krankhafter Egoismus geht dagegen meist auf Kosten anderer -und dient im Grunde nur den eigenen banalen Trieben (Macht, Dominanz, Sicherheit, Selbstbestätigung, Sex…) Das ist der größte Unterschied zwischen beiden und wenn Menschen nur zwischen diesen beiden unterscheiden könnten, wäre allen schon viel geholfen.
Ich weiß,daß ich in Bezug auf diese Familie genau das richtige getan habe,auch wenn es auf den ersten Blick schockierend wirkt,eine Freundin zu verraten.Persönliche Beziehungen dürfen einen nicht davon abhalten,einen unhaltbaren Zustand zu beenden und dazu beizutragen,das wehrlosen Kindern Hilfe zu Teil wird. Der crude Ehrencodex "Man petzt nicht" hilft nur einem-Dem Täter.
Sehe ich auch so. Wer bei Ungerechtigkeiten, Straftaten oder Missständen schweigt, trägt eine Mitschuld. Ganz klar.