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Meuterei auf der Bounty: Was wirklich geschah

Mike vom Mars Blog 1789 bounty fletcher christian geschlechtskrankheiten hms bounty kriegsgericht logbuch meuterei navigation pitcairn seekarten tahiti william bligh
 
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Mai 1789. Neunzehn britische Seeleute treiben im Südpazifik. Der nächste Hafen ist 5000 Kilometer entfernt. Für die Männer in der Nussschale geht es ums blanke Überleben. Die meisten von ihnen sind freiwillig einem Mann gefolgt, der bis heute als unbarmherziger Tyrann gilt: William Bligh, Commander der legendären Bounty.

Wissenschaftler in Australien haben nun die Original-Logbücher der Bounty unter die Lupe genommen, um zu ergründen, was geschah. In der Staatsbibliothek von Sidney werden die grössten Schätze ganz unten, im tiefsten Kellergeschoss aufbewahrt. Mehrere Unterschriften sind nötig, um wertvolle Bücher von hier ans Licht der Öffentlichkeit zu holen.

Und dennoch fragen Forscher aus aller Welt immer wieder nach den selben zwei Bänden, die in Sidney wie der heilige Gral gehütet werden: es sind die Logbücher des Bounty Commanders William Bligh. 1902 wurden sie der Bibliothek von Blighs Urenkel geschenkt – ein Schlüssel zur wahren Geschichte der Bounty.

Im Auftrag der Staatsbibliothek hat ein Restaurator die beiden Logbücher der Bounty restauriert – und ist dabei einem historischen Betrug auf die Spur gekommen: Bücher und Filme zeichnen Bligh seit jeher als unerbittlichen Tyrannen, der seine Leute bis aufs Blut reizte. Die Meuterei auf der Bounty wurde so zum Inbegriff des gerechten Aufstandes gegen einen Despoten.

Doch stimmt diese Legende?

Während der Restaurator versucht, die bereits herausfallenden Seiten des zweiten Bandes, in dem die Meuterei beschrieben wird, wieder in ihrer ursprünglichen Reihenfolge zusammenzusetzen, erregt ein verblichener Tee- oder Kaffeefleck seine Aufmerksamkeit. Er verläuft über die Ränder mehrerer Seiten – doch dazwischen gibt es eine Seite, die über keinen Fleck verfügt. Sie scheint also nachträglich eingesetzt worden zu sein. Doch von wem? Und warum?

Hat am Ende Bligh selbst sein Logbuch verfälscht? Ausgerechnet der Eintrag vom 28. April 1789 gehört zu den nachträglich korrigierten Seiten – der Tag der Meuterei auf der Bounty. Doch die Fälschung ist gut gemacht: erst wenn man das Buch in seine einzelnen Teile zerlegt, erkennt man, was nachträglich eingefügt wurde. Vor allem die Handschrift verrät: die gefälschten Seiten stammen von William Bligh selbst. Auch Verschmutzungen durch Sand, Vulkanasche, Teeflecken und PH-Wert-Analysen beweisen, das einige Seiten nachträglich von Bligh ersetzt wurden.

November 1787

Bligh zwingt seine Mannschaft, sich jeden Tag von fünf bis acht zu vergnügen – zur Körperertüchtigung und zum Testosteronabbau.

Die Vorräte sind elendig knapp. Seekarten existieren nur in Blighs Kopf. Unermüdlich schreibt er die offizielle Chronik einer Reise auf, die so grandios scheitert, das sie bis heute ihresgleichen sucht. Kurz nach der Abreise aus Tahiti kam es zur Meuterei auf der Bounty. Commander Bligh und seine Begleiter wurden auf einem Beiboot ausgesetzt.

Im November 1787, siebzehn Monate vor der Meuterei, war William Bligh mit der Bounty mit Kurs auf Tahiti aufgebrochen. Seine Mission: Setzlinge des Brotfruchbaums von Tahiti nach Jamaica zu bringen – als billige Nahrungsgrundlage für die Sklaven auf den englischen Plantagen. In den feuchtwarmen Zonen entlang des Äquators machten die Kaufmannsdynastien Europas ihr Vermögen.

Für die Brotfruchtmission aber wollte niemand Geld ausgeben. So musste Commander Bligh mit einem viel zu kleinen Schiff und nur 44 Mann Besatzung in die Südsee aufbrechen. Und Leutenant Bligh selbst, der sich als Navigator von James Cook einen Namen gemacht hatte, wurde nicht einmal in den Kapitänsstand befördert – um Sold zu sparen. An Bord hiess er nur aus Höflichkeit „Captain Bligh“.

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Meuterei auf der Bounty

Seit die Bounty England verlassen hat, spielt der halb blinde Geiger Michael Burn täglich zum Tanz auf.

Commander Bligh zwingt seine Mannschaft, sich jeden Tag von fünf bis acht zu vergnügen. Zur Körperertüchtigung. Und zum Testosteronabbau. Blighs Ehrgeiz ist es, auf der Reise keinen einzigen Mann zu verlieren – anders als zu seinen Zeiten üblich. Bligh hat gesunde Vorräte gebunkert, er lässt täglich lüften und schrubben. Und er teilt seine Crew in drei statt der üblichen zwei Wachen ein, damit jeder acht Stunden Schlaf am Stück bekommt. Die dritte Wache überträgt Bligh einem seiner Mate: Fletcher Christian.

Einige Männer sind nur auf Druck einflussreicher Freunde an Bord. Schiffsarzt Thomas Huggan etwa, dessen blanke Trunksucht Bligh empört. Mehr noch aber überschattet eine Schlamperei der Admiralität die Reise: wegen des zu spät ausgestellten Segelbefehls muss Bligh damit rechnen, am gefährlichen Kap Hoorn in die Winterstürme zu geraten.

Der Mannschaftsraum ist ein fensterloser, sieben mal zwölf Meter langer Raum für 33 arme Schlucker, darunter der gebildete Tagebuchschreiber James Morrison, der Deutsche Henry Hillbrandt – ein Böttcher aus Hannover – sowie die notorischen Streithähne Charles Churchill (Wachtmeister) und Matthew Quintal (Matrose). Offiziere, Kadetten und der Botaniker David Nelson dinieren in Blighs ebenfalls winziger Kabine. Statt der üblichen zwei bringt es die Bounty auf sechs Kadetten – meist die jüngsten Sprosse verarmter Adelsfamilien, für die eine Karriere in der Marine oft die einzige Chance darstellte, dem sozialen Abstieg zu entgehen.

Fletcher Christian kennt seinen Commander von früheren Reisen. Er schätzt Bligh als Freund und Förderer. In Filmen wird Bligh gerne als alternder Despot um die sechzig dargestellt, während Fletcher dem Archetyp des jugendlichen Beaus entspricht. Dabei waren beide in etwa gleich alt. Während Schiffsarzt Huggan dem Wein zuspricht, verwickelt Christian seinen Freund, den Fähnrich Peter Heywood, in ein pikantes Tischgespräch. Es geht um die bevorstehende Zusammenkunft mit den „tahitianischen Ladies“. Mit über 40 Männern an Bord ahnt Bligh, was auf ihn zukommt.

Auf der nächsten Seite – Peitschenhiebe und Disziplin.

Peitschenhiebe

An diesem Sonntag muss Bootsmannsmaat James Morrison zum ersten mal einen Matrosen auspeitschen.

Nach gut drei Monaten auf See nähert sich die Bounty der Küste Brasiliens. Hundert Tage schrubben, tanzen, Sauerkraut. Die fortschrittlichen Ideen des Commanders gehen einigen bereits ebenso auf die Nerven, wie die Enge an Bord. Blighs gute Vorsätze scheitern schon bald. Wie jeden Sonntag überprüft Bligh auch am 2. März 1788 persönlich die Hygiene seiner Crew. Ob Lob oder Tadel, Bligh ahnt selten die Wirkung seiner Worte – weder auf den nachlässigen, trunksüchtigen Schiffarzt, noch auf den Steuermann John Fryer.

Während des sonntäglichen Appels befördert Bligh in einem Atemzug Fletcher Christian zum Ersten Offizier und seinem Stellvertreter, während er den Seemann Matthew Quintal aufgrund seiner „anhaltenden Aufsässigkeit“ zu zwei dutzend Peitschenhieben verurteilt.

Dennoch gibt es keinen Beleg dafür, das Bligh ein „Tyrann“ war. James Cook etwa liess seine Leute viel öfter auspeitschen, als Commander Bligh. Bligh war dagegen eher milde eingestellt, was körperliche Züchtigung angeht – und einige Experten sind heute sogar der Meinung, es wäre ihm besser ergangen, wenn er mehr auf die Peitsche gesetzt hätte.

An diesem Sonntag muss Bootsmannsmaat James Morrison zum ersten mal einen Matrosen auspeitschen. Bligh vermerkt das in seinem Logbuch als „Niederlage“. Peitschenhiebe und Skorbut, beide haben für ihn auf einem gut geführten Schiff nichts verloren. Historiker haben Blighs Strafmassnahmen untersucht: er lag mit durchschnittlich 1,5 Peitschenhieben pro Mann weit unter anderen Kapitänen, die meist zwanzig bis fünfzig Hiebe verhängten.

Die Stimmung kippt

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William Bligh

Ende März gerät die Bounty in schwere See. Drei Wochen lang schwappt das Wasser in die Unterdecks. Im Logbuch der Bounty findet sich der Eintrag: „Ich habe allen Grund zur Feststellung, dass Mannschafft und Schiff leiden, und es wird sehr rasch die Entscheidung fallen müssen“.

Nach dreissig Tagen Sturm gibt Bligh den direkten Weg nach Tahiti auf und lässt abdrehen, mit Kurs auf Afrika. Aus Kapstadt schreiben zwei Kadetten begeisterte Briefe über ihren Captain in die Heimat. Doch die Stimmung kippt, als die Bounty, auf den Spuren Captain Cooks, in die Adventure Bay in Tasmanien einläuft. Bligh ist frustriert. Seit Cooks Tod hat er es trotz seines Talents nicht einmal zum Kapität gebracht. Ihm fehlt die adlige Herkunft eines Fletcher Christian.

Zimmermann William Purcell tritt schliesslich in den Streik. Zurück an Bord muss Bligh sich eingestehen, dass ihm kaum Möglichkeiten zur Bestrafung bleiben. Als Offizier ist Purcell vor körperlicher Züchtigung durch das Seerecht geschützt. Bligh müsste ihn in Ketten legen und vors Kriegsgericht bringen. Doch er kann auf keinen Mann verzichten – erst recht nicht auf den Zimmermann. Ein Dilemma, das allen an Bord bewusst wird, während sie die „Verwarnung“ an Purcell unterschreiben.

Bootsmannsmaat James Morrison notiert an diesem Abend in sein Tagebuch: „In der Adventure Bucht wurde die Saat ewiger Zwietracht gesät und es ist nichts anderes als die Wahrheit, wenn ich sage, zwischen Kapitän Bligh und allen anderen Offizieren überhaupt.“

Ankunft im Paradies

Am Ende werden sich 39% der Besatzung mit Geschlechtskrankheiten infiziert haben.

Nach gut 28.000 Meilen und gut neun Monaten auf See erreicht die Bounty am 26. Oktober 1788 Tahiti. Die Mannschaft jubelt. Alle Fälle von Skorbut sind bezeichnenderweise rasch geheilt. Man läuft schliesslich nicht jeden Tag ins „Paradies“ ein. Die Bounty erreicht Tahiti kurz vor Beginn der Regenzeit. Im Gegensazu zu seinen Männern ist Bligh deshalb schon jetzt klar, dass ihnen „volle fünf Monate im Paradies“ bevorstehen.

Die Bounty soll mindestens 600 Schösslinge der Brotfrucht in die Karibik bringen. Auf deren Wachstum muss Bligh warten. Und den Häuptlingen wird er diplomatisch klar machen müssen, das sie die Pflanzen der englischen Krone „zum Geschenk“ machen sollen. Dreiundwzanzig Wochen sollte die Bounty vor Tahiti ankern. Nach fast zehn Monaten auf See fallen den Männern der Bounty die „süssen Früchte“ in den Schoss: am Ende werden sich 39% der Besatzung mit Geschlechtskrankheiten infiziert haben – die höchste Rate, die je ein Schiff im Südpazifik verzeichnete.

William Bligh dürfte der einzige aus der Besatzung gewesen sein, der noch Gedanken vergeudete an das „kalte, vereinigte Königreich“. Die anderen sind gänzlich verzückt von den Frauen Tahitis. Die unbekannte sexuelle Freiheit und das freie Inselleben werden zum süssen Gift für die britischen Seeleute. Es gab immer Desertationen im Südpazifik. Auf jedem Schiff, besonders vor Tahiti. Die Menschen dort waren sehr gastfreundlich, das Klima angenehm. Trotzdem gab es dort nicht auf allen Schiffen gleich eine Meuterei.

Kadett Heywood legt ein Wörterbuch des Tahitianischen an, drei Männer desertieren, im Müssiggang lässt man sogar den Schiffschronometer ablaufen. Im Logbuch schäumt Bligh über „diese nichtswürdigen Unteroffiziere“, die sich tätowieren lassen, statt Wache zu schieben. Nur Botaniker Nelson bleibt seiner Mission treu. Immer mehr eingetopfte Pflanzen füllen das Baumschul-Zelt und auch Gärtnerassistent William Brown blüht auf. In England als „Narbengesicht“ beschimpft, wird er genau deshalb hier verehrt: Narben gelten auf Tahiti als Zeichen des Mutes.

Doch auch wenn Bligh in seinem Logbuch notiert, seine Offiziere hätten ihn zum „äussersten getrieben“, nennt er nur Steuermann Fryer und Zimmermann Purcell als Missetäter. Alle anderen Namen scheinen wie getilgt. Die jungen Herren gelten als Zöglinge einflussreicher Gönner. Hat Bligh deshalb das Logbuch manipuliert?

Alle nachträglich eingefügten Seiten zeigen nicht nur andere Wasserzeichen mit drei statt zwei Ringen unter der Krone. Auch die Buchstaben, die Papierhersteller damals wie eine Signatur benutzten, sind nur auf diesen Seiten anders. Damit steht fest, das Bligh nachträglich Seiten eingefügt hat.

Völlig offen bleiben allerdings die Fragen: wann genau? Wo? Und warum?

Auf der nächsten Seite – Nervenzusammenbruch und Meuterei.

Vertreibung aus dem Garten Eden

Am 27. April unterläuft Bligh ein letzter tragischer Managementfehler.

Am 4. April 1789 nimmt die Bounty Abschied von Tahiti. Die Männer lassen Freunde, Geliebte und ungeborene Kinder zurück. Es ist die Vertreibung aus dem Garten Eden. Nur Bligh notiert mit leisem Stolz: „Bisher habe ich das Ziel meiner Reise erreicht“.

Um die Katastrophe, die wenig später einbrechen sollte, zu erklären, haben Wissenschaftler verblüffende Theorien aufgestellt: zu Beginn einer Beziehung spiele das Bindungshormon Oxytocin im Gehirn verrückt. Frisch verliebte seien deshalb „wie auf Drogen“. Und auch die Entzugserscheinungen seien vergleichbar.

Mit den 1015 Pflanzen an Bord muss die Manschafft sich den knappen Raum und die Wasserrationen teilen. Einige murren, das die Pflanzen kostbarer als die Besatzung seien. Der vorherrschende Ostwind trägt die Bounty rasch fort von Tahiti. Doch der Wechsel vom süssen Inselleben zur rigiden Disziplin geht Bligh nicht schnell genug. Im Grunde zu human, um seine Männer mit körperlichen Strafen auf Linie zu bringen, verschleisst sich Kapität Bligh in Streitereien.

Bligh hatte kaum Einfühlungsvermögen und konnte kaum auf Leute eingehen. So wäre ihm nie in den Sinn gekommen, Fletcher Christian zu schonen, weil dieser psychisch labil war. Und so steuerte alles auf die Katastrophe zu.

Am 27. April unterläuft Bligh ein letzter tragischer Managementfehler. Einige Kokosnüsse wurden gestohlen. Bligh lässt alle Mann an Deck antreten, um den Dieb aufzuspüren. Geradezu pflichtbesessen, züchtigte Bligh seine Mannschaft weniger körperlich, als vielmehr mit beleidigenden Worten. Er konnte sehr harsch sein. Bligh droht damit, die Hälfte der Männer über Bord zu werfen, bevor sie die Endeavour-Straße erreichen. Vor allem Christian wird während der Ansprache zum Ziel seiner Tiraden. Bligh fühlt sich von Inkompetenz und Illoyalität umzingelt. Experten glauben, er habe am Abend vor der Meuterei dagegen angetrunken.

Merkwürdigerweise erwähnt Bligh den Vorfall nicht im Logbuch. Und als sei nichts gewesen, lädt er Christian an diesem Abend zum Dinner ein. Doch der schwankt, tief gekränkt, zwischen Desertation und Selbstmord. Es scheint, als habe er mit Bligh gebrochen und nicht Bligh mit ihm. Fähnrich Edward „Ned“ Young gesellt sich zu Christian und rät ihm anscheinend, das Schiff zu übernehmen. Tagebuchschreiber James Morrison notiert die folgenschweren Worte Youngs.

Nervenzusammenbruch und Meuterei

Wollte Bligh einige seiner Männer im Nachhinein schützen? Hat er eigene Fehler vertuscht?

Es gibt viele Belege dafür, das Christian eine Art Nervenzusammenbruch hatte: er versuchte sich umzubringen, verbrannte alle Briefe und Unterlagen und baute ein Floss, um zu desertieren. Nach allem, was man heute weiss, war die Meuterei auf der Bounty weder geplant, noch durchdacht. Sie geschah in der Hitze des Augenblicks, angefeuert von Rum, Liebeskummer und männlichem Stolz.

Fletcher Christian verliert in der Nacht zum 28. April sein bisheriges Leben. Als Meuterer kann er niemals nach England zurückkehren, wo dem adligen viele Türen offengestanden hätten.

Auf der Bounty herrscht an diesem Morgen Chaos: schlaftrunken müssen sich vierzig Seeleute entscheiden, auf wessen Seite sie stehen. Im allgemeinen Durcheinander bleiben die Fronten über Stunden unklar. Auch in Blighs Logbuch steht nicht die wahre Geschichte dieser Nacht. Die betreffenden Seiten wurden von Bligh nachträglich ausgetauscht. Es lässt sich heute nur spekulieren, warum. Wollte Bligh einige seiner Männer im Nachhinein schützen? Hat er eigene Fehler vertuscht? Hat er überhastete Formulierungen bereut, die die Söhne einflussreicher adliger an den Galgen gebracht hätten? Dieses Geheimnis wird sich nie lüften lassen.

Fest steht aber, das gegen den ansonsten korrekten Commander eine Rufmordkampagne gestartet wurde. Die Hollywood Filme waren nur die letzte Stufe einer langen historischen Verfälschung. Die Verteufelung Blighs begann durch die Familie von Fletcher Christian, die nicht akzeptieren konnte oder wollte, das ihr Sohn ein Meuterer wahr. Meuterei war die einzige unverzeihliche Sünde in der britischen Marine.

Auch nach mehr als 200 Jahren bleibt die Meuterei ein faszinierendes Geheimnis. Für viele der daran beteiligten führte sie in den Tod – auch wenn keineswegs klar war, auf wessen Seite mehr Männer überleben sollten. Für jene, die loyal zu Bligh stehen und unter Androhung von Waffengewalt in die Beiboote steigen, scheint es eine Fahrt in den scheinbar sicheren Tod zu sein. Obwohl man statt des kleinsten am Ende das grösste Beiboot der Bounty nahm, passten immer noch nicht alle hinein, die mit Bligh gehen wollten.

Das sagt eine Menge über die angebliche „Tyrannei“ Blighs und das „Charisma“ eines Fletcher Christian aus.

Blighs Meisterstück

Bis heute eine Meisterleistung der Navigationskunst.

Wie in einem griechischen Drama scheinen an jenem Morgen alle beteiligten Figuren einer vorgezeichneten Bestimmung zu folgen. Im Beiboot schreibt Bligh mit fester Handschrift nieder, wer es ins Boot geschafft hat und wer gezwungen wurde, an Bord der Bounty zu bleiben. In der kleinen Einheit des Beiboots, mit dem einzigen Ziel zu überleben, läuft Bligh zu Hochform auf: er navigiert anhand von Karten, die einzig in seinem Gedächtnis existieren. Er rationiert die Vorräte nach Unzen und Teelöffeln und lässt Schiffszwieback in einer provisorischen Waage aus Kokosnüssen auswiegen – über einem Korb, um auch die letzten Krümel aufzufangen.

Sein Ziel ist der holländische Stützpunkt auf Timor, 3618 Seemeilen entfernt. Auf Tofua verliert er beim Provianteinholen einen einzigen Mann: er wird von einheimischen Erschlagen beim Versuch, Blighs Logbücher im Kampf zu retten. Ãœber 5000 Kilometer hält Bligh unverzagt Kurs – in einer Nussschale, die auf den Wogen des Südpazifik hüpft.

Fletcher Christian scheitert dagegen zunächst als Kapitän der Meuterer: nach Streitereien bringt er einen Teil der Besatzung zurück nach Tahitit und sticht dann wieder in See. In Blighs Unterlagen entdeckt er eine Insel, die in Blighs Seekarten falsch eingezeichnet ist und die deshalb als Versteck ideal scheint: Pitcairn.

Nach 48 Tagen auf See erreichen Bligh und seine Leute am 14. Juni 1789 Timor. Bis heute eine Meisterleistung der Navigationskunst.

Zwei Jahre später wiederholt Bligh die Reise mit zwei Schiffen und ausreichender Besatzung. Mit 2100 Pflanzen erreicht er schliesslich die Karibik. Doch kein Mensch spricht heute über diesen Erfolg. Vielleicht auch, weil den karibischen Sklaven die Brotfrüchte nie geschmeckt haben.

Liste der Besatzungsmitglieder der HMS Bounty

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