Ukraine-Krieg

Ist Putin ein Kriegsverbrecher?

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Spätestens nach dem Massaker von Butscha wird Putin vorgeworfen, gezielt Kriegsverbrechen zu begehen, beziehungsweise bewusst zu befehligen und somit gegen das Völkerrecht und die Genfer Konvention zu verstoßen.

Während 2021 noch Corona-Maßnahmen und zu geringer Umweltschutz für viele die wichtigsten Themen waren, kämpfen und sterben jetzt täglich Menschen – in einem Krieg mitten in Europa, in dem es bisher bereits zahlreiche Kriegsverbrechen mit vielen zivilen Opfern gab. Wir sahen auf ukrainischer Seite beschossene und teils völlig zerstörte Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Pflegeheime. Leichen von an den Händen gefesselten Zivilisten, Männer, Frauen und Senioren, die erschossen in den Straßen von Butscha lagen.

Bundeskanzler Olaf Scholz, sonst gerne eher zaudernd, dröge und zaghaft unterwegs, hat das in einer Dringlichkeitssitzung deutlich gemacht: „Mit dem Ãœberfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. Das ist Menschenverachtend, das ist Völkerrechtswidrig, das ist durch nichts und niemandem zu rechtfertigen.“

Völkerrechtswidrig. Putin ein Kriegsverbrecher? Was genau ist ein „Kriegsverbrechen“? Und wie wahrscheinlich ist es, dass Putin je aufgrund der von ihm befohlenen oder unter seiner Verantwortung begangenen Verbrechen bestraft wird?

Der Nebel des Krieges

„Nicht wenige Soldaten sind blöd genug, sich selbst zu filmen.“

Zuallererst gilt es, zu bedenken, dass alle Informationen, die man aus einem Kriegsgebiet erhält, mit äußerster Vorsicht zu genießen und genau auf ihren Wahrheitsgehalt überpüft werden müssen. Der Aussage einer Regierung alleine ist hier keinesfalls zu vertrauen. Glücklicherweise leben mir mittlerweile in einem Zeitalter der Kameras – fast jeder Zivilist und Soldat verfügt heute über ein Kamerahandy, vielerorts sind an und in Gebäuden Ãœberwachungskameras angebracht.

Satelliten überfliegen mehrmals täglich das Kriegsgebiet und sorgen für gestochen scharfe Bilder mit einer Auflösung bis zu 30cm (ein Pixel entspricht einer Fläche von 30cm²). Anhand von Videos, die Soldaten und Zivilisten im Kriegsgebiet filmen, lässt sich mittels Geolokalisations-Software relativ einfach anhand markanter Bäume, Gebäude oder Hügel herausfinden, wo sich der Standort des Videos befindet. So gehen übrigens auch russische und ukrainische Militäreinheiten vor, wenn es darum geht, feindliche Stellungen zu finden.

Nicht wenige Soldaten sind leider blöd genug, sich selbst zu filmen und ihre Videos auf Tik Tok oder Twitter zu laden, ohne zu ahnen, dass sie damit ihre Stellung verraten. Ein markantes Detail im Hintergrund reicht schon aus – so wie im Fall eines russischen Reporters, der aus Versehen mit seinen Bildern die Stellung eines russischen Mörsers verriet. Dieser wurde kurz danach erfolgreich zum Ziel ukrainischer Artillerie.

Doch nicht alle Informationen aus dem Kriegsgebiet können eindeutig auf ihren Wahrheitsgehalt identifiziert werden. Man arbeitet mit dem, was man zur Verfügung hat.

Angriff auf eine Entbinungsklinik

Nur ein Fall von vielen bisher dokumentierten Verbrechen:

„Diese Unwahrheiten wurden von russischen Medien gezielt wiederholt.“

Am 9. März wird in Mariupol eine Entbindungsklinik von russischen Raketen getroffen. Nach ukrainischen Angaben sterben drei Menschen bei diesem Angriff, darunter auch ein Kind. Siebzehn weitere Menschen werden verletzt. Unter diesen Verletzten war nach angaben der amerikanischen Nachrichtenagentur auch eine ukrainische Bloggerin, Marianna Vyshemirsky. Marianna war hochschwanger, als ein russischer Luftschlag Anfang März jene Geburtsklinik in Mariupol zum Ziel nimmt, in der sie untergekommen war. Fotografen der Nachrichtenagentur AP dokumentieren, wie sie mit Hab und Gut aus dem Gebäude flieht. Die Bilder gehen um die Welt.

Sie erzählte, wie sie diesen Angriff erlebt hat: am 9. März unterhielt sie sich gerade mit anderen Frauen auf der Station, als eine Explosion das Krankenhaus erschütterte. Sie zog sich eine Decke über den Kopf. Dann gab es eine zweite Explosion. „Man hörte alles herumfliegen, Granatsplitter und so weiter“, sagt sie. „Das Geräusch hallte noch sehr lange in meinen Ohren.“ Die Frauen suchten mit anderen Zivilisten im Keller Schutz. Marianna erlitt eine Schnittwunde an der Stirn und Glassplitter steckten in ihrer Haut, aber ein Arzt sagte ihr, sie müsse nicht genäht werden. Was sie jedoch brauchte, so erklärt sie, war, ihr Hab und Gut aus den Trümmern des Krankenhauses zu holen. Sie bat einen Polizeibeamten, ihr wieder ins Haus zu helfen. „Alles, was ich für mein Baby vorbereitet hatte, lag in der Entbindungsstation“, sagt sie.

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Marianna Vyshemirsky | Foto: AP

Während sie vor dem Krankenhaus stand und darauf wartete, ihre Sachen abzuholen, wurde sie von Journalisten der Associated Press fotografiert. Sie fotografierten sie erneut, als sie die Treppe hinunterging und das Gebäude verließ. Diese Bilder gingen schnell ins Netz. Und da tauchten auf einem kremlfreundlichen Telegramm-Kanal erstmals falsche Behauptungen auf, die Bilder seien „inszeniert“. Mariannas eigener Beauty-Blog wurde benutzt, um zu suggerieren, sie sei eine „Schauspielerin“, die mit Make-up Verletzungen vorgetäuscht habe.

Diese Unwahrheiten wurden von hochrangigen russischen Beamten und staatlichen Medien gezielt wiederholt und verstärkt. Sie behaupteten sogar, dass es sich bei einem Foto einer anderen schwangeren Frau auf einer Bahre ebenfalls um Marianna handelte, obwohl es sich eindeutig um unterschiedliche Personen handelt.

Diese Frau auf der Bahre und ihr ungeborenes Kind sind später an ihren Verletzungen gestorben.

Das sich dieser Angriff tatsächlich zugetragen hat, wurde u.a. von der WHO bestätigt, die automatisch bei Angriffen auf Krankenhäuser und Gesundheitsorganisationen eingeschaltet wird und in diesen Fällen ermittelt. Auch das ein ukrainischer Panzer, der angeblich vor diesem Krankenhaus stand, auf dieses geschossen hätte oder für den Angriff verantwortlich gewesen wäre, konnte widerlegt werden. Fotos des besagten Panzers, die von russischen Medien verbreitet wurden, konnten mittels Geolokalisation klar einem völlig anderen Standort zugewiesen werden; der Panzer war nicht einmal in der Nähe des Krankenhauses.

Tatsächlich gab Russland nach erstem Zögern den Angriff auf dieses Krankenhaus dann auch zu. Man entschuldigte den Angriff nun damit, dass diese Klinik angeblich von ukrainischen Truppen als militärischer Stützpunkt genutzt wurde. Angeblich wären dort schon „lange keine Kinder mehr entbunden“ worden und das Gebäude von „Kämpfern des Azov-Bataillons“ genutzt worden. Und überhaupt würden die Ukrainer ihre eigene Bevölkerung im ganzen Land als menschlichen Schutzschild nutzen, so der russische Außenminister Sergej Lavrov.

Zwei Seiten, zwei Blickwinkel. Doch fast alle Länder, mit Ausnahme der wenigen mit Russland verbündeten, gehen bei diesem Vorfall allerdings mittlerweile klar von einem Kriegsverbrechen aus.

Das Grauen von Butscha

„Die Beweise wiegen schwer.“

Als Massaker von Butscha wird eine Reihe von Kriegsverbrechen in der Stadt Butscha (Oblast Kiew), einem Vorort von Kiew, bezeichnet, die im Frühjahr 2022 während der Schlacht um Kiew durch Angehörige der russischen Streitkräfte an der ukrainischen Zivilbevölkerung begangen wurden. Nachdem die russischen Streitkräfte Anfang April 2022 nach etwas mehr als einem Monat abgezogen waren, wurden laut ukrainischen Angaben bis im August 2022 (Schlussbilanz) 458 Leichen gefunden, von denen 419 Anzeichen dafür trugen, dass sie erschossen, gefoltert oder zu Tode geknüppelt worden waren.

Fast alle Toten waren Zivilisten.

Alle Fälle werden von Ermittlern für Kriegsverbrechen untersucht. Russland wird vorgeworfen, gezielt Massaker an ihnen verübt zu haben. Die russische Regierung bestreitet eine Beteiligung russischer Soldaten an den Folterungen und Tötungen.

Doch die Beweise gegen die russischen Soldaten wiegen schwer. Russland behauptet, die Bilder des Massakers in Butscha seien von Ukrainern inszeniert worden. Satellitenbilder zeigen aber bereits vor dem russischen Abzug Leichen in den Straßen. Das russische Verteidigungsministerium hatte die Bilder als „Fälschungen“ bezeichnet. Demnach seien die Leichen noch nicht dort gewesen, als die russischen Streitkräfte am 30. März abgezogen waren. Maxar-Satellitenbilder vom 19. und 21. März zeigen jedoch, dass sich bereits zu diesem Zeitpunkt mehrere Leichen auf der Yablonska-Straße in Butscha befanden. Die New York Times verglich die Satellitenbilder mit diversen Aufnahmen von ukrainischen Beamten und internationalen Medien und bestätigte, dass einige der Leichen sich bereits Wochen vor dem russischen Abzug in der gezeigten Position befunden hätten. Die Bilder von den Leichen mutmaßlicher Zivilistinnen hatten international Bestürzung ausgelöst.

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Butscha | Foto: Reuters

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Was gilt als Kriegsverbrechen?

„Der Unterschied zwischen normaler Kriegshandlung und Verbrechen.“

Für die meisten Menschen ist schlicht alles, was in einem Krieg passiert, der Horror schlechthin. Dennoch ist vieles davon tatsächlich rechtlich erlaubt – vor allem, wenn es darum geht, sein Land, sein Haus, seine Familie vor einem Angreifer zu verteidigen. Sich mit tödlicher Gewalt gegen tödliche Gewalt zu wehren, hat an sich gar keine rechtlichen Konsequenzen. Schließlich steht das eigene (Ãœber-)leben auf dem Spiel.

Was genau aber ein Kriegsverbrechen von einer „normalen“ Kriegshandlung abhebt, ist nicht immer genau definiert. Aber es gibt Regeln in einem Krieg – beispielsweise das die Zivilbevölkerung verschont bleibt. Das man nicht willkürlich auf Schulen, Hospitäler oder öffentliche Gebäude schießt. Ziele müssen also stets militärischer Natur sein. Zumindest auf dem Papier. In der Praxis aber ist diese Trennung so gut wie unmöglich.

Bei der Verteidigung von Dörfern und Städten z.B. ist es für die ukrainischen Truppen unabdingbar, dass sie sich in verlassenen Wohnhäusern verschanzen – alleine deshalb, weil es in einem Dorf einfach keine andere Möglichkeit zur Deckung gibt. Ebenso muss eine dicht besiedelte Stadt auch von innen heraus verteidigt werden – man kann vom Verteidiger nicht verlangen, die Stadt erst einmal brav zu verlassen, um den Gegner dann von außen zu attackieren. Genau das aber hat Amnesty International den ukrainischen Truppen in einem, mittlerweile heftig umstrittenen Bericht, vorgeworfen. Mit Verlaub, solch ein haarsträubender, realitätsferner Bericht kann nur von Hardcore-Pazifisten erstellt werden, die noch bis ins Erwachsenenalter an Regenbogen pupsende Einhörner glauben.

Dennoch: dieser Vorfall macht klar, dass es nicht immer leicht ist, in einem Krieg zwischen „normaler“ Kriegshandlung und einem vorsätzlichen Verbrechen zu unterscheiden. Um die Unterscheidung zwischen diesen beiden zu definieren, wurde am 22. August 1864 das erste Genfer Abkommen verabschiedet – als erster völkerrechtlicher Vertrag, der den Schutz von Verwundeten, die Neutralität des Sanitätspersonals und das Rote Kreuz als Schutzzeichen zum Gegenstand hat. In den folgenden 150 Jahren wurde das Recht wegen sich kontinuierlich wandelnder Waffentechnologie und veränderter Methoden der Kriegsführung immer wieder an die neuen Herausforderungen angepasst. Fast alle Länder des Planeten haben dieses Abkommen unterschrieben – darunter auch Russland.

Die Genfer Konvention

„Auch Russland hat das Abkommen unterschrieben.“

Die heute geltenden vier Genfer Abkommen von 1949 und die beiden Zusatzprotokolle von 1977 sind das Kernstück des humanitären Völkerrechts. Sie schützen Menschen vor Grausamkeit und Unmenschlichkeit in Kriegssituationen. Dies gilt insbesondere für Personen, die nicht (mehr) an bewaffneten Auseinandersetzungen teilnehmen: verletzte, kranke oder schiffbrüchige Kombattanten sowie Zivilpersonen.

196 Staaten haben die Genfer Abkommen bis zum Jahr 2020 ratifiziert.

Die ursprüngliche und erste Genfer Konvention „zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde“ wurde im Jahr 1864 von 16 Staaten angenommen. Sie wurde in den folgenden Jahrzehnten, z.B. durch die Abkommen der Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 sowie das Genfer Abkommen von 1929, ergänzt. Insbesondere weil im Zweiten Weltkrieg durch technische Weiterentwicklungen bedeutend mehr Zivilpersonen getötet wurden als zuvor, hat man die Genfer Abkommen am 12. August 1949 schließlich auch auf Zivilpersonen ausgedehnt.

Grundprinzipien
In bewaffneten Konflikten soll zwischen Kämpfenden und Zivilpersonen, militärischen und nicht-militärischen Objekten unterschieden werden. Das humanitäre Völkerrecht legt fest, dass auch das Verhältnis der eingesetzten Methoden und Mittel zu dem angestrebten und tatsächlich bewirkten militärischen Zweck beachtet wird. Außerdem sind Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz von zivilen Personen und Objekten zu ergreifen.

Geschützte Personen
Die Genfer Abkommen und ihre drei Zusatzprotokolle schützen Zivilpersonen in Zeiten bewaffneter Konflikte, aber auch Hilfe leistendes medizinisches und religiöses Personal sowie Gegnerinnen und Gegner, die nicht mehr in der Lage sind zu kämpfen – also kranke, verwundete oder schiffbrüchige Kombattanten sowie Kriegsgefangene.

Schutz von Jounalisten
Es ist wichtig, dass die Medien angemessen über Kriegssituationen berichten können. Das bedeutet oft, dass sich Journalistinnen und Journalisten in gefährliche Situationen begeben müssen. In den Genfer Abkommen sind Journalistinnen und Journalisten klar in ihrer Eigenschaft als Zivilpersonen definiert. Das wurde im ersten Zusatzprotokoll 1977 nochmals bekräftigt.

Verbotene Waffen
Das humanitäre Völkerrecht verbietet ausdrücklich Waffen, die unnötiges Leiden oder überflüssige Verletzungen verursachen. Waffen, die keine Unterscheidung von militärischen und zivilen Objekten zulassen, sind genauso untersagt wie Waffen, die ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen und so den Menschen Lebensgrundlagen nehmen. Interessanterweise ist der Einsatz von Streumunition, die Russland nachgewiesenermaßen immer wieder in der Ukraine, aber auch im Syrienkrieg verwendete, aber kein Kriegsverbrechen. Streumunition gilt als international geächtet, ihre Herstellung, Lagerung und Einsatz sind für 110 Vertragsstaaten des Übereinkommens über Streumunition, auch unter Oslo-Konvention bekannt, verboten (Stand: 15. Juli 2021). Russland allerdings hat diese Konvention nie unterzeichnet.

Verbotene Kriegsmethoden
Als unzulässige Methoden in kriegerischen Auseinandersetzungen werden im humanitären Völkerrecht unter anderem Heimtücke und der Missbrauch anerkannter Kennzeichen sowie Nationalitätskennzeichen aufgeführt. Verboten ist die Anweisung, niemanden am Leben zu lassen, und Gewalt gegenüber außer Gefecht gesetzten Gegnerinnen und Gegner anzuwenden. Das humanitäre Völkerrecht untersagt ebenso Repressalien gegen geschützte Personen und das Aushungern von Zivilpersonen.

Schutzzeichen
Anerkannte Schutzzeichen zeigen, dass Personen und Gegenstände neutral und im Sinne der Genfer Abkommen im Einsatz sind – etwa zur Bergung oder Versorgung von Verwundeten. Sie sollen Kämpfende von Angriffen abhalten. Das Rote Kreuz, der Rote Halbmond und der zurzeit nicht mehr verwendete Rote Löwe mit roter Sonne, werden in den Genfer Abkommen als Schutzzeichen anerkannt. Im dritten Zusatzprotokoll aus dem Jahr 2005 wurde der Rote Kristall als weiteres Schutzzeichen aufgenommen.

Der Minimal-Standard
Geschützte Personen werden, so fordern die Genfer Abkommen, unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt, ohne Unterscheidung von Rasse, Hautfarbe, Religion oder Glauben, Geschlecht, Vermögen oder ähnlichen Merkmalen. Tötung, Verstümmelung und Vergewaltigung, Folterung, Geiselnahme und entwürdigende Behandlung sind verboten. Verurteilungen dürfen nur von einem ordentlichen Gericht unter Berücksichtigung der grundlegenden Rechtsgarantien ausgesprochen werden. Verwundete und Kranke werden geborgen und gepflegt.

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Verbrechen gegen die Menschlichkeit

„Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung und Deportation.“

Wenn Soldaten sich ergeben, dürfen sie laut Völkerrecht nicht getötet oder gefoltert werden. Auch dürfen Menschen nicht gezwungen werden, für die Besatzer zu arbeiten oder gar zu kämpfen. Zwangsarbeit ist also ein absolutes Tabu, ebenso wie Deportation von Familien. Plünderungen und Diebstahl durch Soldaten sind verboten (das gilt auch für Waschmaschinen). Die Zivilbevölkerung muss human behandelt werden. Alleine durch die hier aufgezählten Punkte wird schon klar, wie viele Kriegsverbrechen russischen Soldaten vorgeworfen werden – und wie lange deren Aufarbeitung und Beweisssicherung dauern wird!

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft prüft derzeit fast 26.000 Fälle von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar. 135 Menschen seien bisher angeklagt worden, sagte der Chef der Abteilung für Kriegsverbrechen, Jurij Bilousow. In sieben Fällen seien Urteile ergangen.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind schwere Verstöße gegen das internationale Völkerrecht, die durch eine systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind. Sie zählen zu den Kernverbrechen des Völkerstrafrechts und unterliegen dem Weltrechtsprinzip. Zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zählen z.B. Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung und Deportation – also wenn eine Land einem ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen seine Zivilbevölkerung ausgesetzt ist. Dies ist im Falle des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bereits nach jetzigem Kenntnisstand klar der Fall.

Zu diesen Straftatbeständen laufen derzeit bereits Ermittlungen und sogar Prozesse. In Den Haag beschäftigen sich derzeit gleich zwei Gerichte mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine: der Internationale Gerichtshof und der Internationale Strafgerichtshof. Obwohl beide Gerichte über einen fast identisch klingenden Namen verfügen, gibt es zwischen ihnen einen deutlichen Unterschied: am Internationalen Gerichtshof werden keine Einzelpersonen angeklagt, am Strafgerichtshof dagegen schon.

Internationale Gerichtshöfe

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Internationaler Strafgerichtshof| Foto: DF

An ersterem wird also der Prozess Staat gegen Staat verhandelt (also Russland gegen die Ukraine). Hier hat das Gericht auf einen eingereichten Eilantrag bereits schnell entschieden: demnach muss Russland die Angriffshandlungen sofort stoppen. Das Problem: beide Staaten müssen den Internationalen Gerichtshof anerkennen – Russland hat das jedoch nie getan und wird sich deshalb auch nicht an diese Weisung halten. In diesem Fall gibt es nur eine Sanktionsmöglichkeit, und die liegt beim UN-Sicherheitsrat. Der könnte Russland verurteilen, wenn es die Kampfhandlungen nicht einstellt. Doch dies scheitert natürlich immer am Vetorecht Russlands im UN-Rat. Und so wird klar, warum nicht nur der ukrainische Präsident Selenski vehement eine Reform des UN-Sicherheitsrats fordert, der schon seit langem von vielen nur noch als zahnloser Tiger und durch das sinnlose Vetorecht einzelner Mitglieder als völlig überflüssige Institution angesehen wird.

Spannender könnten hier aber die Prozesse am Internationalen Strafgerichtshof werden – denn hier geht es nicht um Staaten, die miteinander im Clinch liegen, sondern um einzelne Menschen, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden: Soldaten, Befehlshaber oder sogar Präsidenten, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, systematischer Aggression und / oder des Völkermordes schuldig gemacht haben.

Wer dort genau angeklagt wird, steht erst fest, wenn genug Beweise zu den einzelnen dokumentierten Verbrechen gesammelt wurden. Theoretisch könnte Russlands Diktator Putin hier unter den Angeklagten sein, sofern bewiesen werden kann, dass Kriegsverbrechen direkt von ihm befohlen wurden und / oder unter seinem Wissen und mit seiner schweigenden Zustimmung stattfanden.

Bei vielen der Prozesse am Strafgerichtshof geht es um die sogenannte „Vorgesetztenverantwortlichkeit“, von der sich hochrangige Militärs, wie beispielsweise der ehemalige jugoslawische Politiker Slobodan MiloÅ¡ević oder Radovan Karadžić, die beide von sich sagten, sie hätten solche Befehle nie persönlich erteilt. Was solche „Ausreden“ angeht, ist die internationale Gerichtsbarkeit heute allerdings schon viel weiter, als sie es noch vor zwanzig Jahren war. Wie anfangs bereits erwähnt, ist die Verfügbarkeit von Beweismaterial heute dank Kameras und Smartphones nicht nur um Welten besser, als damals. Mittlerweile können Zeugen auch Videos und Bilder direkt über ein Portal an den Internationalen Strafgerichtshof senden und hochladen, die dort dann auch unmittelbar ausgewertet werden können. So wird es für Kriegsverbrecher immer schwieriger, sich ihrer Verantwortung zu entziehen.

Wie groß ist also die Chance, dass auch Herr Putin eines Tages auf dieser Anklagebank sitzt? Das ist natürlich schwer zu sagen – denn zum einen gilt es, genug Beweise zu recherchieren, dass diese oder jene Kriegsverbrechen von ihm angeordnet oder zumindest wissend hingenommen wurden. Zum anderen muss man seiner Person dann auch noch habhaft werden. Das allerdings könnte sich leichter gestalten, als man denkt – man denke an Saddam Hussein, der nach seinem Sturz aus einem schäbigen Erdloch gezogen wurde. Man sollte auch die Macht eines mehrere Millionen Dollar hohen Kopfgeldes und die geballte Wut eines Volkes unterschätzen, dass einem verirrten Alphamännchen auf dem Leim ging und dafür einen hohen Preis zahlen musste.

Seltsam? Aber so steht es hier geschrieben... Ihr habt Fragen, Anregungen oder vielleicht sogar eine völlig andere Meinung zu diesem Artikel? Dann postet einen Kommentar.

Mike vom Mars Blog - mike-vom-mars.comAutor: Mike vom Mars
Mike emigrierte vor einigen Jahren von seinem Heimatplaneten auf die Erde, um das Leben am wohl seltsamsten Ort des Universums zu studieren. Seiner Bitte "bringt mich zu eurem Führer" wurde bisher nicht entsprochen.

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1 Kommentar

  1. Danke für diesen wirklich guten und informativen Artikel.

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