Verbrechen gegen die Menschlichkeit
„Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung und Deportation.“
Wenn Soldaten sich ergeben, dürfen sie laut Völkerrecht nicht getötet oder gefoltert werden. Auch dürfen Menschen nicht gezwungen werden, für die Besatzer zu arbeiten oder gar zu kämpfen. Zwangsarbeit ist also ein absolutes Tabu, ebenso wie Deportation von Familien. Plünderungen und Diebstahl durch Soldaten sind verboten (das gilt auch für Waschmaschinen). Die Zivilbevölkerung muss human behandelt werden. Alleine durch die hier aufgezählten Punkte wird schon klar, wie viele Kriegsverbrechen russischen Soldaten vorgeworfen werden – und wie lange deren Aufarbeitung und Beweisssicherung dauern wird!
Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft prüft derzeit fast 26.000 Fälle von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar. 135 Menschen seien bisher angeklagt worden, sagte der Chef der Abteilung für Kriegsverbrechen, Jurij Bilousow. In sieben Fällen seien Urteile ergangen.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind schwere Verstöße gegen das internationale Völkerrecht, die durch eine systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind. Sie zählen zu den Kernverbrechen des Völkerstrafrechts und unterliegen dem Weltrechtsprinzip. Zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zählen z.B. Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung und Deportation – also wenn eine Land einem ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen seine Zivilbevölkerung ausgesetzt ist. Dies ist im Falle des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bereits nach jetzigem Kenntnisstand klar der Fall.
Zu diesen Straftatbeständen laufen derzeit bereits Ermittlungen und sogar Prozesse. In Den Haag beschäftigen sich derzeit gleich zwei Gerichte mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine: der Internationale Gerichtshof und der Internationale Strafgerichtshof. Obwohl beide Gerichte über einen fast identisch klingenden Namen verfügen, gibt es zwischen ihnen einen deutlichen Unterschied: am Internationalen Gerichtshof werden keine Einzelpersonen angeklagt, am Strafgerichtshof dagegen schon.
Internationale Gerichtshöfe
An ersterem wird also der Prozess Staat gegen Staat verhandelt (also Russland gegen die Ukraine). Hier hat das Gericht auf einen eingereichten Eilantrag bereits schnell entschieden: demnach muss Russland die Angriffshandlungen sofort stoppen. Das Problem: beide Staaten müssen den Internationalen Gerichtshof anerkennen – Russland hat das jedoch nie getan und wird sich deshalb auch nicht an diese Weisung halten. In diesem Fall gibt es nur eine Sanktionsmöglichkeit, und die liegt beim UN-Sicherheitsrat. Der könnte Russland verurteilen, wenn es die Kampfhandlungen nicht einstellt. Doch dies scheitert natürlich immer am Vetorecht Russlands im UN-Rat. Und so wird klar, warum nicht nur der ukrainische Präsident Selenski vehement eine Reform des UN-Sicherheitsrats fordert, der schon seit langem von vielen nur noch als zahnloser Tiger und durch das sinnlose Vetorecht einzelner Mitglieder als völlig überflüssige Institution angesehen wird.
Spannender könnten hier aber die Prozesse am Internationalen Strafgerichtshof werden – denn hier geht es nicht um Staaten, die miteinander im Clinch liegen, sondern um einzelne Menschen, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden: Soldaten, Befehlshaber oder sogar Präsidenten, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, systematischer Aggression und / oder des Völkermordes schuldig gemacht haben.
Wer dort genau angeklagt wird, steht erst fest, wenn genug Beweise zu den einzelnen dokumentierten Verbrechen gesammelt wurden. Theoretisch könnte Russlands Diktator Putin hier unter den Angeklagten sein, sofern bewiesen werden kann, dass Kriegsverbrechen direkt von ihm befohlen wurden und / oder unter seinem Wissen und mit seiner schweigenden Zustimmung stattfanden.
Bei vielen der Prozesse am Strafgerichtshof geht es um die sogenannte „Vorgesetztenverantwortlichkeit“, von der sich hochrangige Militärs, wie beispielsweise der ehemalige jugoslawische Politiker Slobodan MiloÅ¡ević oder Radovan Karadžić, die beide von sich sagten, sie hätten solche Befehle nie persönlich erteilt. Was solche „Ausreden“ angeht, ist die internationale Gerichtsbarkeit heute allerdings schon viel weiter, als sie es noch vor zwanzig Jahren war. Wie anfangs bereits erwähnt, ist die Verfügbarkeit von Beweismaterial heute dank Kameras und Smartphones nicht nur um Welten besser, als damals. Mittlerweile können Zeugen auch Videos und Bilder direkt über ein Portal an den Internationalen Strafgerichtshof senden und hochladen, die dort dann auch unmittelbar ausgewertet werden können. So wird es für Kriegsverbrecher immer schwieriger, sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
Wie groß ist also die Chance, dass auch Herr Putin eines Tages auf dieser Anklagebank sitzt? Das ist natürlich schwer zu sagen – denn zum einen gilt es, genug Beweise zu recherchieren, dass diese oder jene Kriegsverbrechen von ihm angeordnet oder zumindest wissend hingenommen wurden. Zum anderen muss man seiner Person dann auch noch habhaft werden. Das allerdings könnte sich leichter gestalten, als man denkt – man denke an Saddam Hussein, der nach seinem Sturz aus einem schäbigen Erdloch gezogen wurde. Man sollte auch die Macht eines mehrere Millionen Dollar hohen Kopfgeldes und die geballte Wut eines Volkes unterschätzen, dass einem verirrten Alphamännchen auf dem Leim ging und dafür einen hohen Preis zahlen musste.
Seltsam? Aber so steht es hier geschrieben... Ihr habt Fragen, Anregungen oder vielleicht sogar eine völlig andere Meinung zu diesem Artikel? Dann postet einen Kommentar.
Alle ArtikelDiese Kategorie
1 Kommentar
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Danke für diesen wirklich guten und informativen Artikel.