Ukraine-Krieg

Warum ist Russlands Armee so schwach?

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Korruption

„Geisterbataillone“ existieren nur auf dem Papier.

Russische Soldaten warten nach übereinstimmenden Berichten oft vergeblich auf Nachschub an ausreichend Nahrung und Munition. Videos zeigen funktionsfähige Panzer, die mitten im Gelände liegen bleiben, weil ihnen der Treibstoff ausgegangen ist. Anderen Radfahrzeugen hat es die Reifen abgerissen, was darauf hindeutet, dass diese Systeme über eine längere Frist nicht bewegt wurden. Die russische Armee scheint Probleme mit den grundlegendsten Dingen zu haben – und das, obwohl sie als eine der stärksten der Welt galt. Wo ist das ganze Geld für die Instandhaltung hingegangen?

Möglicherweise in die Taschen von Lokalpolitikern und lokalen Kommandeuren.

Eine der Hauptursachen für den – trotz der Modernisierungen in den letzten Jahren – erschreckend maroden und altmodischen Zustand der russischen Armee ist die allgegenwärtige Korruption und Selbstbereicherung im russischen System. In einem System, in dem es kein menschliches Mit- sondern nur ein Gegeneinander gibt, hat jeder von Jugend an gelernt, nur auf das eigene Wohl zu achten.

Auch in der Armee ist die Korruption deshalb allgegenwärtig, von den kleinsten Rängen bis hinauf in den Generalstab. Und das Problem der Korruption innerhalb der Armee ist zugleich ihr größtes überhaupt. Nachdem die ukrainischen Kräfte mehr und mehr russische Panzer unter ihre Gewalt bekommen oder zerstört hatten, wurde klar, welche Ausmaße Korruption in russischen Einheiten angenommen hatte. Bei nicht wenigen Panzern fand man beispielweise, dass gar keine funktionierende Reaktivpanzerung verbaut war, sondern es sich nur um harmlose Attrappen handelte, in denen gar kein Sprengstoff verbaut war. Wohin immer dieser verschwunden ist, der sich eigentlich in den dafür vorgesehenen „Bricks“ befinden sollte, ist unbekannt. Ebenso, ob dieser Sprengstoff überhaupt jemals angeschafft und dann illegal verkauft wurde, oder die ganze Zeit nur auf dem Papier existierte. Statt dem Sprengstoff fand man in den dafür vorgesehenen Kammern lediglich Gummimatten und… Eierkartons! Wo wir gerade bei Pappe sind – auch in den Panzerwesten russischer Infanteristen fand man statt Kevlargewebe oder Panzerplatten nur gepresste Pappe! Das macht russische Soldaten wohl wortwörtlich zu Pappkameraden.

Dann gibt es noch die sogenannten „Geisterbataillone“, die nur auf dem Papier existieren. Nicht selten kommt es vor, dass Vorgesetzte der Armee Sold für Mitarbeiter kassieren, die es gar nicht gibt. Der Fall von Oberstleutnant Vadim Kazarjan, der zwei Rekruten nach ihrem Armeedienst als Vertragssoldaten registrieren ließ, obwohl sie die Armee verlassen haben, ist nur einer von vielen. Die Justizbehörden bezifferten den Schaden damals auf 20.000 Euro. Mit diesen nicht existierenden Einheiten wird im Generalstab gerechnet, da dieser davon ausgeht, dass sie existieren – ebenso wie angeblich existierende Panzer und Raketensysteme, die längst ausgeschlachtet und unter der Hand an Waffenhändler verkauft wurden.

Tatsächlich könnte systematische Korruption beim russischen Militär ein Grund dafür sein, dass russische Truppen es nicht schaffen, entscheidende Erfolge in der Ukraine zu erzielen. Korruption auf operativer Ebene behindert die russische Logistik, was dazu führt, dass die Soldaten schlecht versorgt und ausgerüstet sind. Dies schwächt die militärische Effizienz enorm. So gab es zu Beginn der Invasion Berichte über russische Soldaten, die mit Fertiggerichten und Trockenrationen in die Ukraine geschickt wurden, die seit 2015 abgelaufen sind.

„Treibstoff wird beim russischen Militär bereits als zweite Währung bezeichnet.“

Auch an Treibstoff scheint es den russischen Truppen im Krieg oft zu fehlen – und das in einem Land, das reich an Öl und Gas ist. Es ist plausibel, dass die langjährige Tradition der Korruption bei der Treibstoffversorgung das Tempo des russischen Vormarsches in der Ukraine verringert hat. Treibstoff wird beim russischen Militär bereits als zweite Währung bezeichnet. Möglich mache dies die mangelnde Kontrolle des Kraftstoffverbrauchs. Tatsächlich gibt es immer wieder Meldungen über Mitarbeiter der Armee, die viel Geld mit dem Verkauf des Benzins oder Diesels machen. So berichtete die Nachrichtenagentur Tass 2019 zum Beispiel über drei Soldaten in Sewastopol auf der annektierten Krim, die 126 Tonnen Kraftstoff gestohlen und für 3,6 Millionen Rubel verkauft haben.

Vor allem nach dem Georgienkrieg 2008 musste Russland feststellen, dass seine Truppen für langwierige, moderne Konflikte nicht gerüstet waren. Der damalige Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow sollte Abhilfe schaffen und das Militär reformieren, was er auch durchaus erfolgreich umsetzte. Allerdings bekämpfte der Minister auch Korruption und Geschäfte mit Waffenproduzenten, die gegen den Wettbewerb verstießen. Die Zahl seiner Gegner wuchs daher derart, dass er 2012 abgesetzt wurde. Sein Nachfolger Sergej Schoigu verstand es, sich das Wohlwollen aller Beteiligten zu sichern, indem er nicht gegen Korruption vorging, es sich nicht mit Waffenlieferanten verscherzte. So kam es, dass Russland sich vom Effizienzgedanken wieder verabschiedete.

Schoigu begann, regelmäßig Berichte über die erfolgreiche Rüstungsbeschaffung zu veröffentlichen. So gab das Verteidigungsministerium den „Prozentsatz der Aufrüstung“, also den Anteil neuen Militärmaterials, im Januar 2022 mit über 70 Prozent an. Diese Zahlen seien jedoch „absolut fiktiv“, berichtete das Organized Crime and Corruption Project. „Wir sehen neue Modelle von Ausrüstungen – Raketen, Panzer, U-Boote – aber nur in Einzelfällen“, zitierte die Organisation einen Militärforscher. Das könnte erklären, warum in der Ukraine vor allem uralte sowjetische Systeme zum Einsatz kommen.

Der Ukraine spielt all dies in die Hände. So bedankte sich Oleksandr Nowikow, Leiter der ukrainischen Antikorruptionsbehörde, bereits bei Russlands Verteidigungsminister Schoigu – die Veruntreuung öffentlicher Gelder leiste einen „unschätzbaren Beitrag“ zur Verteidigung der Ukraine.

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Mike vom Mars Blog - mike-vom-mars.comAutor: Mike vom Mars
Mike emigrierte vor einigen Jahren von seinem Heimatplaneten auf die Erde, um das Leben am wohl seltsamsten Ort des Universums zu studieren. Seiner Bitte "bringt mich zu eurem Führer" wurde bisher nicht entsprochen.

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