Ukraine-Krieg

Ist Putin ein Kriegsverbrecher?

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Was gilt als Kriegsverbrechen?

„Der Unterschied zwischen normaler Kriegshandlung und Verbrechen.“

Für die meisten Menschen ist schlicht alles, was in einem Krieg passiert, der Horror schlechthin. Dennoch ist vieles davon tatsächlich rechtlich erlaubt – vor allem, wenn es darum geht, sein Land, sein Haus, seine Familie vor einem Angreifer zu verteidigen. Sich mit tödlicher Gewalt gegen tödliche Gewalt zu wehren, hat an sich gar keine rechtlichen Konsequenzen. Schließlich steht das eigene (Ãœber-)leben auf dem Spiel.

Was genau aber ein Kriegsverbrechen von einer „normalen“ Kriegshandlung abhebt, ist nicht immer genau definiert. Aber es gibt Regeln in einem Krieg – beispielsweise das die Zivilbevölkerung verschont bleibt. Das man nicht willkürlich auf Schulen, Hospitäler oder öffentliche Gebäude schießt. Ziele müssen also stets militärischer Natur sein. Zumindest auf dem Papier. In der Praxis aber ist diese Trennung so gut wie unmöglich.

Bei der Verteidigung von Dörfern und Städten z.B. ist es für die ukrainischen Truppen unabdingbar, dass sie sich in verlassenen Wohnhäusern verschanzen – alleine deshalb, weil es in einem Dorf einfach keine andere Möglichkeit zur Deckung gibt. Ebenso muss eine dicht besiedelte Stadt auch von innen heraus verteidigt werden – man kann vom Verteidiger nicht verlangen, die Stadt erst einmal brav zu verlassen, um den Gegner dann von außen zu attackieren. Genau das aber hat Amnesty International den ukrainischen Truppen in einem, mittlerweile heftig umstrittenen Bericht, vorgeworfen. Mit Verlaub, solch ein haarsträubender, realitätsferner Bericht kann nur von Hardcore-Pazifisten erstellt werden, die noch bis ins Erwachsenenalter an Regenbogen pupsende Einhörner glauben.

Dennoch: dieser Vorfall macht klar, dass es nicht immer leicht ist, in einem Krieg zwischen „normaler“ Kriegshandlung und einem vorsätzlichen Verbrechen zu unterscheiden. Um die Unterscheidung zwischen diesen beiden zu definieren, wurde am 22. August 1864 das erste Genfer Abkommen verabschiedet – als erster völkerrechtlicher Vertrag, der den Schutz von Verwundeten, die Neutralität des Sanitätspersonals und das Rote Kreuz als Schutzzeichen zum Gegenstand hat. In den folgenden 150 Jahren wurde das Recht wegen sich kontinuierlich wandelnder Waffentechnologie und veränderter Methoden der Kriegsführung immer wieder an die neuen Herausforderungen angepasst. Fast alle Länder des Planeten haben dieses Abkommen unterschrieben – darunter auch Russland.

Die Genfer Konvention

„Auch Russland hat das Abkommen unterschrieben.“

Die heute geltenden vier Genfer Abkommen von 1949 und die beiden Zusatzprotokolle von 1977 sind das Kernstück des humanitären Völkerrechts. Sie schützen Menschen vor Grausamkeit und Unmenschlichkeit in Kriegssituationen. Dies gilt insbesondere für Personen, die nicht (mehr) an bewaffneten Auseinandersetzungen teilnehmen: verletzte, kranke oder schiffbrüchige Kombattanten sowie Zivilpersonen.

196 Staaten haben die Genfer Abkommen bis zum Jahr 2020 ratifiziert.

Die ursprüngliche und erste Genfer Konvention „zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde“ wurde im Jahr 1864 von 16 Staaten angenommen. Sie wurde in den folgenden Jahrzehnten, z.B. durch die Abkommen der Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 sowie das Genfer Abkommen von 1929, ergänzt. Insbesondere weil im Zweiten Weltkrieg durch technische Weiterentwicklungen bedeutend mehr Zivilpersonen getötet wurden als zuvor, hat man die Genfer Abkommen am 12. August 1949 schließlich auch auf Zivilpersonen ausgedehnt.

Grundprinzipien
In bewaffneten Konflikten soll zwischen Kämpfenden und Zivilpersonen, militärischen und nicht-militärischen Objekten unterschieden werden. Das humanitäre Völkerrecht legt fest, dass auch das Verhältnis der eingesetzten Methoden und Mittel zu dem angestrebten und tatsächlich bewirkten militärischen Zweck beachtet wird. Außerdem sind Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz von zivilen Personen und Objekten zu ergreifen.

Geschützte Personen
Die Genfer Abkommen und ihre drei Zusatzprotokolle schützen Zivilpersonen in Zeiten bewaffneter Konflikte, aber auch Hilfe leistendes medizinisches und religiöses Personal sowie Gegnerinnen und Gegner, die nicht mehr in der Lage sind zu kämpfen – also kranke, verwundete oder schiffbrüchige Kombattanten sowie Kriegsgefangene.

Schutz von Jounalisten
Es ist wichtig, dass die Medien angemessen über Kriegssituationen berichten können. Das bedeutet oft, dass sich Journalistinnen und Journalisten in gefährliche Situationen begeben müssen. In den Genfer Abkommen sind Journalistinnen und Journalisten klar in ihrer Eigenschaft als Zivilpersonen definiert. Das wurde im ersten Zusatzprotokoll 1977 nochmals bekräftigt.

Verbotene Waffen
Das humanitäre Völkerrecht verbietet ausdrücklich Waffen, die unnötiges Leiden oder überflüssige Verletzungen verursachen. Waffen, die keine Unterscheidung von militärischen und zivilen Objekten zulassen, sind genauso untersagt wie Waffen, die ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen und so den Menschen Lebensgrundlagen nehmen. Interessanterweise ist der Einsatz von Streumunition, die Russland nachgewiesenermaßen immer wieder in der Ukraine, aber auch im Syrienkrieg verwendete, aber kein Kriegsverbrechen. Streumunition gilt als international geächtet, ihre Herstellung, Lagerung und Einsatz sind für 110 Vertragsstaaten des Übereinkommens über Streumunition, auch unter Oslo-Konvention bekannt, verboten (Stand: 15. Juli 2021). Russland allerdings hat diese Konvention nie unterzeichnet.

Verbotene Kriegsmethoden
Als unzulässige Methoden in kriegerischen Auseinandersetzungen werden im humanitären Völkerrecht unter anderem Heimtücke und der Missbrauch anerkannter Kennzeichen sowie Nationalitätskennzeichen aufgeführt. Verboten ist die Anweisung, niemanden am Leben zu lassen, und Gewalt gegenüber außer Gefecht gesetzten Gegnerinnen und Gegner anzuwenden. Das humanitäre Völkerrecht untersagt ebenso Repressalien gegen geschützte Personen und das Aushungern von Zivilpersonen.

Schutzzeichen
Anerkannte Schutzzeichen zeigen, dass Personen und Gegenstände neutral und im Sinne der Genfer Abkommen im Einsatz sind – etwa zur Bergung oder Versorgung von Verwundeten. Sie sollen Kämpfende von Angriffen abhalten. Das Rote Kreuz, der Rote Halbmond und der zurzeit nicht mehr verwendete Rote Löwe mit roter Sonne, werden in den Genfer Abkommen als Schutzzeichen anerkannt. Im dritten Zusatzprotokoll aus dem Jahr 2005 wurde der Rote Kristall als weiteres Schutzzeichen aufgenommen.

Der Minimal-Standard
Geschützte Personen werden, so fordern die Genfer Abkommen, unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt, ohne Unterscheidung von Rasse, Hautfarbe, Religion oder Glauben, Geschlecht, Vermögen oder ähnlichen Merkmalen. Tötung, Verstümmelung und Vergewaltigung, Folterung, Geiselnahme und entwürdigende Behandlung sind verboten. Verurteilungen dürfen nur von einem ordentlichen Gericht unter Berücksichtigung der grundlegenden Rechtsgarantien ausgesprochen werden. Verwundete und Kranke werden geborgen und gepflegt.

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1 Kommentar

  1. Danke für diesen wirklich guten und informativen Artikel.

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