TAG 353 – SAMSTAG, 11.FEBRUAR 2023
Mit dem heutigen Update russischer Verluste brechen die Russen abermals ihren vor einigen Tagen aufgestellten Sterberekord. Demnach fielen an nur einem einzigen Tag 1140 Russen. Wenn dies tatsächlich der Beginn der erwarteten russischen Offensive sein sollte, dürfte auch dieser neue Rekord nicht länger, als einige Tage halten:
Nicht nur die menschlichen Verluste machen den Russen zu schaffen. Nach Angaben von Beobachtern hat Russland seit Beginn des Ukraine-Kriegs möglicherweise bis zur Hälfte seiner gesamten einsatzfähigen Panzerflotte verloren, da sein Militär darum kämpft, die Ziele von Wladimir Putins Invasion zu erreichen.
Oryx, eine Open-Source-Intelligence-Website, hat seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022 visuelle Beweise für die Verluste an militärischer Ausrüstung in der Ukraine gesammelt. Die Gruppe erklärte diese Woche, sie habe 1.000 eindeutige, durch Bilder verifizierte, russische Panzerverluste in diesem Krieg nachgewiesen. Weitere 544 russische Panzer seien von den ukrainischen Streitkräften erbeutet, 79 beschädigt und 65 aufgegeben worden.
Und das sind, wohlgemerkt, nur die Verluste, von denen Bildmaterial vorliegt und die deshalb auch einwandfrei identifiziert und bewiesen werden konnten. Diese Zahl beinhaltet nicht die Verluste, die Oryx nicht visuell bestätigen konnte. Ein Sprecher von Oryx schätzt, dass die tatsächliche Zahl eher bei 2.000 Panzern liegen könnte.
Russland hat den Krieg mit rund 3.000 einsatzfähigen Panzern begonnen. Es ist also gut möglich, dass Russland die Hälfte seiner einsatzfähigen Panzer verloren hat. Nach den Zahlen von Oryx hat sich die Panzerschlacht zugunsten der Ukraine entwickelt. Nach der Zählung von Oryx decken die mehr als 500 Panzer, die die Ukraine von Russland erbeutet hat, die 459 Panzer, die sie verloren hat, mehr als ab.
Oryx berechnete auch die Verluste der Russischen Föderation an militärischer Ausrüstung für den 8. bis 10. Februar: insgesamt waren es -103 Einheiten in drei Tagen, davon 36 Panzer.
Dokumentierte Verluste der Ukraine für den gleichen Zeitraum: -20 Einheiten, darunter 2 Panzer. Dies ist das Ergebnis der erfolglosen Angriffe auf Vuhledar (siehe Eintrag von gestern) und Avdiivka.
Das Verhältnis der Verluste ukrainischer verglichen mit russischen Einheiten liegt bei 3,12 zu 1. In den letzten zwei Wochen hat es sich leicht erhöht (es betrug 3,1 zu 1). Die Russen verlieren also tendenziell mehr als dreimal so viele Einheiten – was vor allem daran liegt, da die angreifende Seite immer mehr verliert. Angriff ist nun einmal verlustreicher, als Verteidigung.
TAG 352 – FREITAG, 10.FEBRUAR 2023
In Richtung Vuhledar (Donetsk Oblast) besiegten die Verteidigungskräfte der Ukraine eine große gepanzerte Gruppe russischer Truppen. Das russische Militärkommando setzte über drei Dutzend gepanzerte Fahrzeuge ein, um Vuhledar zu stürmen. Die feindlichen Einheiten waren mit Panzern, Schützenpanzern, gepanzerten Mannschaftstransportwagen und technischen Fahrzeugen ausgerüstet, bildeten einen Konvoi und bewegten sich auf Vuhledar zu.
Durch präzisen Beschuss ukrainischer Artillerie breitete sich unter den Angreifern schnell Chaos aus. Durch den Beschuss erlitten die Russen erhebliche Verluste und verloren mindestens 31 Fahrzeuge. 13 russische Panzer -hauptsächlich T-72B3-, 12 BMP-1/BMP-2 Schützenpanzer, 2 MT-LB, ein IMR-Kampftechnikfahrzeug und andere wurden zerstört oder beschädigt und aufgegeben.
Stümperhafter Angriff im Rudel mitten über offenes und vermintes Feld, ohne Abstand und Deckung: das bekommt eine handwerkliche Sechs. Durchgefallen.
Wer, wie wir, selbst FPV-Drohnen fliegt, wird bei folgendem Video sofort Schmetterlinge im Bauch fühlen. Es zeigt eine Marge von FPV- (First Person View)-Drohnen, die mittels Videobrille gesteuert werden und pro Stück noch nicht einmal USD 200 kosten. In diesem Fall tragen die Drohnen eine Granate, die beim Auftreffen auf ein Ziel sofort explodiert. Durch das im Video zu sehende HUD erkennt man, dass hier tatsächlich handelsübliche Drohnen mit Open-Source Flight Controllern (Betaflight / Cleanflight) benutzt werden:
Manchmal passiert es natürlich auch, dass diese Drohnen durch einen technischen Defekt, einen leeren Akku oder kurzzeitigem Verlust der Funkverbindung vom Himmel fallen, bevor sie ein Ziel ausschalten konnten. Bei Russen ist das Gott sei Dank egal, denn wenn die Drohne nicht zu ihnen kommt, sind sie so nett und kommen stattdessen brav zur Drohne:
TAG 350 – MITTWOCH, 08.FEBRUAR 2023
Die Ukraine berichtet, dass allein am Montag mehr als 1.000 russische Soldaten getötet wurden. Die stellt bisher den höchsten Tagesverlust russischer Truppen dar.
Das ukrainische Verteidigungsministerium teilte in einem Telegram Post mit, dass 1.030 russische Soldaten bei Kämpfen getötet wurden, womit sich die Gesamtzahl während des gesamten Konflikts auf nun etwas mehr als 133.000 erhöhte. Die ukrainischen Streitkräfte zerstörten außerdem an einem einzigen Tag 14 Panzer und 28 gepanzerte Fahrzeuge, so die Beamten.
Reuters berichtete, dass die Zahl der getöteten russischen Soldaten den Montag zu den bisher tödlichsten 24 Stunden des Krieges für Russland machte, weist aber darauf hin, dass die Zahlen der Opfer auf Seiten der Opposition auf beiden Seiten unzuverlässig sind.
Die hohen derzeitigen Verluste der Russen haben ihre Ursache vor allem in den heftigen, sich immer wiederholenden und schlecht durchgeführten Angriffen russischer Truppen an der Ost- und Südfront (Kreminna – Soledar – Bakhmut – Avdiivka – Vuhledar), die in letzter Zeit noch einmal deutlich zugenommen haben. Die Ukraine hat davor gewarnt, dass Russland 500.000 Soldaten an seiner Grenze zusammenzieht, um eine Offensive zu starten und neue Gebiete zu erobern.
Manche Quellen sind der Ansicht, dass diese Offensive längst begonnen hat. Das würde die derzeit hohen Verluste russischer Truppen erklären, aber auch darauf hindeuten, dass die erwartete russische Offensive so schwach ausgefallen ist, dass viele sie gar nicht wirklich bemerkt hätten, weil man von einer deutlich größeren Angriffswelle ausging, die Kampfkraft der Russen aber derzeit merklich erschöpft ist.
Sollte das die befürchtete russische Offensive sein, so besteht sie momentan nur darin, möglichst viel schlecht ausgebildetes und miserabel ausgerüstetes Menschenfleisch in die Front zu pressen. Anders kann man es nicht mehr nennen, denn selten hat ein Land weniger Achtung vor dem Leben seiner eigenen Bevölkerung bewiesen.
So optimistisch ist allerdings nicht jeder und man muss davon ausgehen, dass Russland um den Zeitpunkt des 24. Februar herum doch größere Offensiven plant.
Nicht jeder hat zwingend das Herz eines Kämpfers, wie diese Reporterin, die es aus bisher ungeklärten Gründen an die Front nach Bakhmut verschlagen hat, beweist. Gleichzeitig demonstriert dieses Video aber auch, wie heftig derzeit die Kämpfe an der Ostfront geführt werden:
TAG 348 – MONTAG, 06.FEBRUAR 2023
Die Lage an der Front ist weiterhin extrem angespannt, aber im Großen unverändert. Während ukrainische Truppen weiterhin die Stadt Kreminna im Nordosten belagern, dort aber in den letzten Tagen wieder ein Stück zurückgedrängt wurden, drängen Wagner- und reguläre Truppen im Osten bei Soledar und Bakhmut westwärts. Soledar ist bereits in den Händen der Russen, die dort allerdings horrende Verluste durch ukrainischen Widerstand erlitten.
In Bakhmut und dem Rest der Ostfront sieht die Lage nicht anders aus: Russische Truppen drängen mit aller Kraft nach Westen, während ihnen Verluste in den eigenen Reihen egal zu sein scheinen. In den am meisten umkämpften Orten wie Soledar, Bakhmut, Avdiivka oder Vuhledar stapeln sich buchstäblich russische Leichen. Für Russen, insbesondere Wagner-Truppen, scheinen „Menschen“ eine verzichtbare Ressource zu sein.
Nachdem ein Eindringen Bakhmut für russische Truppen über Monate hinweg kaum möglich und von extrem hohen Verlusten begleitet war, versuchen diese nun, die Stadt nördlich und südlich zum umzingeln. Vor allem südlich von Bakhmut rückten russische Truppen bereits nahe an die Verbindungsstrasse heran, durch die Bakhmut mit Nachschub versorgt wird. Die Lage für die Ukrainer ist hier brenzlig – aber so lange Bakhmut ein Fleischwolf ist, in dem täglich hunderte russische Soldaten leichte Ziele abgeben, wird die Ukraine den Ort so lange wie möglich halten, um die feindlichen Truppen weiter zu schwächen und ihnen hohe Verluste zuzufügen
Die Liste der täglichen Angriffe entlang der Frontlinie ist zu lang, um hier im Detail darauf einzugehen. Die Angriffe der Russen an der Ost- und Südfront sind jedoch extrem verlustreich, kosten viel Material und noch mehr Menschenleben. Gelingt den Russen nach Wochen und Monaten die Einnahme einer kleinen, meist nicht einmal besonders wichtigen Stadt, wie z.B. Soledar, schlachtet die Führung das dann exzessiv in PR-Meldungen aus, um eine „erfolgreiche Offensive“ vorzutäuschen.
Die eigenen Verluste werden dabei von der russischen Regierung meist um den Faktor 10 beschönigt. Die tatsächlichen Verluste an Soldaten der russischen Seite nähern sich nach Schätzungen westlicher Beobachter und Geheimdienste bereits der 200.000 Mann-Marke. Das ukrainische Verteidigungsministerium gibt über 130.000 getötete russische Soldaten, über 397.000 verwundete und über 1.000 gefangengenommene Russen an. Wie hoch die Verluste auf ukrainischer Seite sind, wird nicht veröffentlicht.
Selbst wenn die Russen bei ihren unzähligen täglichen Angriffen hohe Verluste an Material und Menschen erleiden – der Ukraine wird beides deutlich früher ausgehen, wenn der Westen nicht rechtzeitig liefert und die hiesige Rüstungsindustrie endlich in die Puschen kommt. In Russland hat man sich bereits auf einen langen Krieg vorbereitet, die dortige Industrie produziert bereits nach Kräften (d.h. im Rahmen der Sanktionen) weiter Munition und Granaten, während unsere Politiker anscheinend immer noch von einem vorübergehenden Konflikt ausgehen und lieber im Bademantel Däumchen drehen.
Derzeit massieren die Russen Truppen an allen Frontabschnitten vom Norden auf belarussischem Gebiet über den Osten im Donbas bis in den Süden. Eine zweite, offene Mobilisierung in Russland ist nicht erfolgt, da die erste Mobilisierung ja eigentlich nie abgeschlossen wurde und mehr oder weniger verdeckt die ganze Zeit weiterläuft.
Verschiedene Quellen erwarten eine weitere russische Großoffensive – entweder im März, oder noch im Februar. Da ab März wichtige Waffenlieferungen in der Ukraine eintreffen sollten, werden die Russen ihre Offensive sehr wahrscheinlich auf einen früheren Zeitpunkt verlegen, sobald es die Bodenverhältnisse (Rasputiza) zulassen.
Da in der Region Luhansk bereits seit einigen Tagen großflächig das Internet gesperrt ist, damit Anwohner keine Informationen über Truppenbewegungen weitergeben können, geht der ukrainische Geheimdienst von einer Offensive in den nächsten 10 Tagen aus. Wo genau die Russen beabsichtigen durchzubrechen, ist derzeit eine offene Frage – es scheint aber so, als würden sie es an allen Frontabschnitten versuchen, um zu sehen, wo ein Durchdringen möglich ist. Sehr wahrscheinlich ist aber eine Offensive im Donbas, deren komplette Einnahme Putin bis März 2023 befehligt hat.
Alle hängt nun davon ab, wie schnell der Westen weiteres Gerät – vor allem Kampfpanzer, Artillerie und Mörser – in die Ukraine schicken kann und wie viel Munition die westliche Industrie in den nächsten Monaten produzieren kann.
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